Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Steinadler: Verbreitung. Aufenthalt. Raubweiſe. 267

dreißiger, ſelbſt in den vierziger Fahren durfte man den Steinadler noch mit Beſtimmtheit zu den Brutvögeln Oſt-, Süd- und Mitteldeutſchlands zählen. Weit häufiger als innerhalb der Grenzen des Deutſchen Neiches lebt der ſtolze Vogel in Öſterreih-Ungarn, insbeſondere in den Alpen Steiermarks, Tirols, Kärntens und Krains, woſelbſt ih ihn wiederholt beobachtet habe, ebenſo und keine8wegs ſelten in den Karpathen und Siebenbürger Alpen, außerdem im größten Teile Ungarns und im ganzen Süden des Kaiſerſtaates. Selbſt im Böhmerwalde mag dann und wann ein Steinadlerpaar horſten, wie dies noch vor einigen JZahrzehnten im Nieſengebirge geſchehen fein ſoll. Außerdem verbreitet ſi der Vogel über die Schweiz, Südeuropa, die Atlasländer, Skandinavien (?), ganz Rußland (?), ſoweit es bewaldet oder felſig iſt, Kleinaſien, (ordperſien und Mittelaſien, vom Ural an bis nah China und vom Waldgürtel Sibiriens an bis zum Himalaja. Jn Weſteuropa, zumal Frank rei und Belgien, tritt er viel ſeltener auf als im Oſten und Süden; in Großbritannien erſcheint er wohl nur noh als Strichvogel; in der Schweiz iſt er zwar nicht gerade ſelten, aber doh auc niht häufig, im Süden Rußlands eine regelmäßige, in den Gebirgen Mittelaſiens eine alltägliche Erſcheinung.

Ohne größere Waldungen zu meiden, ſiedelt ſi< der Adler, wie ih der Kürze halber fortan ſagen werde, doh mit entſchiedener Vorliebe im Hochgebirge und an einer mehr oder minder ſhwer zu erſteigenden, am liebſten gänzlih unzugänglichen Felſenwand an. Das einmal erwählte Gebiet hält das vereinte Paar mit Zähigkeit feſt, verläßt es, wenn der Wildreichtum der Gegend es geſtattet, auh im Winter nicht, beſucht um dieſe Zeit ſogar regelmäßig die Horſte, gleihſam als wolle es ſeine Anrechte auf ſie wahren. Ungezwungen wandern oder ſtreichen wohl nur junge Vögel, und ſie ſind es daher auch, die bei uns zu Lande erlegt werden. Denn der Adler braucht viele, vielleicht 6, möglicherweiſe 10 Fahre und darüber, bevor er im eigentlichen Sinne des Wortes erwachſen, d. h. fortpflanzungsfähig iſt, und durhſtreift bis dahin die weite Welt, wahrſcheinlih viel au8gedehntere Streden, als wir glauben. Seßhaft wird er erſt, wenn er ſih gepaart hat und an die Errichtung des eignen Horſtes denkt. Auch dann noch iſt ſein Gebiet ſehr ausgedehnt, wie es der bedeutende Nahrungsbedarf des Vogels erfordert.

Von dem Niſtorte aus unternimmt das Paar tagtäglih Streifzüge, häufig in derſelben Richtung. Es verläßt den Ort der Nachtruhe erſt längere Zeit nah Sonnenaufgang und ſtreicht nun in ziemlih bedeutender Höhe kreiſend durch das Gebiet. Bergzüge werden in gewiſſem Sinne zur Straße, über die der Adler meiſt verhältnismäßig niedrig dahinſtreicht, wenn die Berge hoch ſind, oft kaum in Flintenſhußnähe über dem Boden. „Jh habe“, berichtet Girtanner, „den Steinadler und ſein Weib oft ganze Alpengebiete ſo regelrecht abſuchen ſehen, daß ih in der That nicht begreifen könnte, wie dieſen vier Adleraugen bei ſo überlegtem Vorgehen auh nur eine Feder hätte entgehen mögen. Von der Felſenkante in der Nähe des Horſtes gleichzeitig abfliegend, ſenkt ſi<h das Näuberpaar raſch in die Tiefe hinab, überfliegt die Thalmulde und zieht nun an dem unteren Teile der Gehänge des gegenüberliegenden Höhenzuges langſam in wagerechter Richtung dahin, der eine.Gatte ſtets in einiger Entfernung vom anderen, doch in gleicher Höhe, ſo daß das, was dem erſten entgangen, dem nachfolgenden um ſo ſicherer zu Geſicht, und was etwa von jenem aufgeſheucht, dieſem um ſo beſtimmter in die Krallen kommen muß. Auf dieſe Weiſe am Ende des Gebietes angelangt, erheben ſih beide um 100 m und darüber auſſteigend, ziehen in dieſer Höhe in entgegengeſeßter Richtung zurü>, erheben ſi< ſodann wieder und ſuchen ſo in weiten Zi>zaclinien den ganzen Gebirgsſto> aufs ſorgſältigſte ab.“ Wehe dem nicht allzu ſchnellen Wilde, das eins der vier ſcharfen Augen erſpäht: es iſt verloren, wenn nict ein Zufall es rettet. Ebenſo wie beide Adler gemeinſchaftlich jagen, verzehren ſie auh gemeinſam die erlegte Beute; bei der Mahlzeit geht es jedo<h keineswegs immer friedlih her: ein le>eres