Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

268 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſce Familie: Falkenvögel,

Gericht kann ſelbſt unter den zärtlihſten Adlergatten Streit hervorrufen. Die Fagd währt bis gegen Mittag; dann kehrt der Räuber in die Nähe des Horſtes zurück oder wählt ſich einen anderen ſiheren Punkt, um auszuruhen. Regelmäßig geſchieht dies, wenn er im Fange glü>li< war. Er ſißt dann mit gefülltem Kropfe und läſſig getragenem Gefieder längere Zeit auf derſelben Stelle und gibt ſih der Ruhe und der Verdauung hin, ohne jedoch auch jebt ſeine Sicherheit aus den Augen zu verlieren. Nachdem dieſe Nuhe vorüber, fliegt der Adler regelmäßig zur Tränke. Es iſt behauptet worden, daß ihm das Blut ſeiner Schlachtopfer genüge: jeder gefangene Adler beweiſt das Gegenteil. Er trinkt viel und bedarf des Waſſers noh außerdem, um ſih zu baden. Bei warmem Wetter geht ſelten ein Tag hin, an welchem er leßteres niht thut. Nachdem er getrunken und ſich gereinigt, tritt er einen nohmaligen Raubzug an; gegen Abend pflegt er ſi< in der Luft zu vergnügen ; mit dem Einbruche der Dämmerung erſcheint er vorſichtig und ohne jedes Geſchrei auf dem Schlafplaße, der ſtets mit größter Vorſicht gewählt wird. Dies iſt, mit kurzen Worten geſchildert, das tägliche Leben des Vogels.

Der Adler iſt nux im Sißen und im Fliegen ſ{hön und majeſtätiſch, im Laufen dagegen ſo unbehilflih und ungeſchi>kt, daß er zum Lachen reizt. Wenn er ſi ſehr langſam auf dem Boden fortbewegt, trägt er ſih faſt wagereht und ſett dann gemächlih ein Bein um das andere vor; wenn er ſi< aber beeilt, ſei es, daß er flugunfähig entrinnen will oder ſonſt in Erregung gerät, hüpft er unter Zuhilfenahme ſeiner Flügel in großen, wunderſamen Sprüngen dahin, keineswegs langſam zwar, im Gegenteile ſo raſh, daß man ſi anſtrengen muß, um ihn einzuholen, aber ſo unregelmäßig und täppiſh, daß man den ſtolzen Vogel bedauern möchte. Um vom flachen Boden aufzufliegen, nimmt er, in ähnlicher Weiſe hüpfend, ſtets einen Anlauf und ſ<hlägt langſam und kräftig mit den Flügeln; hat er ſih jedoh erſt in eine gewiſſe Höhe aufgeſhwungen, ſo ſchwebt er oft viertelſtundenlang, ohne einen einzigen Flügelſhlag zu thun und ſi< nur wenig ſenkend, raſch dahin, ſteigt, indem er ſi gegen den Wind dreht, wieder zu der etwa verlornen Höhe empor und hilft nur ausnahmsweiſe dur einige langſame Flügelſhläge nah. Wie von dem fliegenden Geier, werden die Fittiche ſo weit gebreitet, daß die Spitzen der einzelnen Schwungfedern ſich niht mehr berühren, wogegen die Shwanzfedern ſtets einander überdeten. Das Flugbild des Vogels erhält dur den gerade abgeſhnittenen Schwanz etwas ſo Bezeichnendes, daß man den Steinadler niemals mit einem Geier verwe<hſeln kann. Der in hoher Luft kreiſende Räuber, der eine Beute erſpäht, ſenkt ſih gewöhnlich erſt in Schraubenlinien hernieder, um den Gegenſtand genauer ins Auge zu faſſen, legt, wenn dies geſchehen, plößlih ſeine Flügel an, ſtürzt mit weit vorgeſtre>ten, geöffneten Fängen, vernehmlich ſauſend, ſchief zum Boden hinab, auf das betreffende Tier los und ſchlägt ihm beide Fänge in den Leib. Ft das Opfer wehrlos, ſo greift er ohne weiteres zu; iſt es fähig, ihn zu gefährden, verfehlt er nie, einen Fang um den Kopf zu ſchlagen, um ſo gleichzeitig zu blenden und zu entwaffnen.

Mein Vater hat an ſeinem gefangenen Goldadler die Art und Weiſe des Angriffes oft geſehen und aus3gezeihnet beſchrieben; ſeine Schilderung will ih daher, wenn auh nur im Auszuge, wiedergeben. „Beim Ergreifen der Beute“, ſagt er, „ſchlägt er die Nägel ſo heſtig ein, daß man es deutlich hört und die Zehen wie krampfhaft zuſammengezogen ausſehen. Katen ſchlägt er den einen Fang um den Hals, benimmt ihnen ſo alle Luft und frißt ſie an, noch ehe ſie tot ſind. Gewöhnlich greift er ſo, daß die Zehen des einen Fanges den Kopf einſchließen. Bei einer Kaze, die ih ihm bot, hatte er mit einem Nagel das Auge durchbohrt, und die Vorderzehen lagen fo um die innere Kinnlade, daß die Kaze den Rachen keine Linie breit öffnen konnte. Die Nägel des anderen Fußes waren tief in die Bruſt eingedrüd>t. Um ſich im Gleichgewichte zu halten, breitete der Adler die Flügel weit aus und gebrauchte ſie und den Shwanz als Stüßen; dabei waren ſeine Augen blutrot und größer