Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Zwergadler: Verbreitung. Wanderungen. Weſen. Stimme. 289

in erheblicher Anzahl die ganze Fberiſhe Halbinſel. Dagegen zählt er in Ftalien zu den größten Seltenheiten, ohne daß man hierfür einen durchſchlagenden Grund ausfindig machen könnte. Jn den Waldungen des ſüdlihen Ural iſt er nicht ſelten, im Tien-ſchan und dem ſüdöſtlihen Turkiſtan überhaupt einer der häufigeren Raubvögel, in Fndien wie auf Ceylon no< Brutvogel. Nah Weſten hin bewohnt er die Waldungen Kleinaſiens und Perſiens, macht ſih geeigneten Ortes auh längs der ganzen Nordküſte von Afrika ſeßhaft. Mit Ausnahme Jndiens und, wie es ſcheint, au< Algeriens, iſt er überall Sommervogel,/ der im April am Horſte erſcheint und Ende September das Land wieder verläßt. Gelegentlich dieſer Neiſe durchſtreift er buchſtäblih ganz Afrika, bis endlich das Meer ſeinem Wanderdrange Halt gebietet. Nah Art anderer Wandervögel ſchart er ſich auf den eigentlichen Heerſtraßen, beiſpielweiſe längs des Bosporus und im Nilthale, zu förmlichen Flügen, wogegen er, in der Winterherberge angelangt, ſich wiederum einigermaßen vereinzelt. -So wenigſtens habe ih in Ägypten und im Fnneren Afrikas beobachtet. Hier wie da bin ih ihm oft begegnet. Zu Ende März des Fahres 1852 traf ih ſo zahlreiche Zuggeſellſchaften an, daß ih binnen 3 Tagen einige 20 Stü erlegen konnte. Fn Sennar fand ih ihn nur während des Winters.

Der Zwergadler iſt ein e<ter Edeladler in Geiſt und Weſen. Er unterſcheidet ſich von ſeinen größeren Verwandten nah meinem Dafürhalten nur durch zwei Eigentümlich: feiten: dur größere Gewandtheit und geringere Vorſicht. Sein Flug iſt ſchnell, kräftig und leiht, auf lange Zeit hin ſ{hwebend, beim Angriffe auf die Beute pfeilſchnell. Dreſſer vergleicht ihn auffallenderweiſe mit dem Buſſarde: ih behaupte, daß er dieſen in jeder Beziehung übertrifft und ebenſowenig in ſeinem Auftreten wie in ſeinen Bewegungen, in ſeinem Weſen wie in ſeinem Gebaren mit ihm verglichen werden darf. Andere Berichterſtatter, ſo auh Goebel, der vielfache Gelegenheit hatte, ihn zu beobachten, ſtimmen mit mir vollkommen überein. „Der Zwergadler“, ſagt der leßtgenannte, „jagt ſpielend nur kurze Zeit am Tage, beunruhigt jeden vorüberziehenden größeren Raubvogel, wie den Seeadler, Schreiadler und andere, und liegt mit dem Würgfalken in ewiger Fehde, die dann auch allaugenbli&li< in hoher Luft ausgefohten wird, wobei die beiden gewandten Vögel in Flugkünſten das Mögliche leiſten und einen köſtlichen Genuß gewähren.“ Dieſe Worte laſſe ih gelten; denn au< i< bin dur das Auſtreten des Zwergadlers ſtets entzüt worden. Zu eigner Beluſtigung kreiſt der Zwergadler in höchſt anmutiger Weiſe lange Zeit über einer Stelle umher, liebt es auch, in bedeutende Höhen emporzuſteigen; bei ſeiner Zagd hingegen ſ{hwebt er ziemlih niedrig über dem Boden dahin, und nah Graf Lázárs Beobachtungen rüttelt er niht ſelten nah Art der Turmfalken. Zum Aufbäumen wählt er ſeltener die höchſten Spißen der Bäume, als vielmehr deren niedere Äſte. Hier ſißt er aufreht, oft lange Zeit, ohne ein Glied zu bewegen, achtet jedo<h auf alles, was um ihn vorgeht, und am allermeiſten auf ein ſi ihm etwa bietendes Wild. Männchen und Weibcen halten ſih ſtets zuſammen, auh auf dem Zuge. Niemals habe ich in Afrika einen einzelnen Zwergadler geſehen; immer waren es Paare oder Geſellſchaften, die ſih zuſammenhielten. Dieſer treuen Anhänglichkeit der Gatten entſpricht das Betragen am Horſte in allen Stücken.

Die Stimme iſ verſchieden, Graf Wodzicki gibt ſie dur< die Silben „koh koch kei fei“, Graf Lázár dur<h „wüd wüd“ wieder und vergleicht dieſe Laute mit einem helltönenden Pfeifen. Krüper und Goebel ſtimmen mit Läzár überein. „Vernimmt“, ſagt der erſtgenannte, „ein mit den Stimmen der europäiſchen Vögel ziemlih vertrauter Forſcher im Frühlinge den Paarungsruf des Zwergadlers und bemerkt den Vogel nicht, ſo fann ex der Meinung ſein, daß dieſer Ton von einer in der Nähe befindlichen Waſſerläuferart herrührt. Denn er hört ein zweimaliges, mitunter ein dreimaliges helles „Tü

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. VL 1 19