Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.

Novelle von L. Haidheim. 161

Die üblichen Fragen begannen. Erſt die Mutter. Elſe hörte faum zu, unter dem Eindru> dex Gedanken und Erinnerungen, welche auf ſie einſtürmten.

Exft der Eid, dann die Zeugenausſage. Es geſchah das Alles fo mechaniſch, ſo ohne jedes Heben und Sinken der Stimmen; wenn ſie auh niht genau darauf geachtet hatte, ſo war do< von der Vernehmung der Mutter eine beruhigende Wirkung auf fie ausgegangen.

Viel gefſaßter und beſonnenerx trat fie an den grünen Ziſch und leiſtete ihren Eid. Der Richter fragte ſie nach Namen, Alter und dann — „Schon beſtraft?“ lautete die nächſte Frage. /

Elſe Mühlbrandt zu>te zuſammen, ſtarrte den Beamten an, dann tief exſhre>t auf ihre Mutter.

Dex Beamte dachte, ſie habe ihn nicht verſtanden; ihr glühendes Erröthen hielt er für Schüchternheit, ihren Schre>en fiir übergroßen Reſpekt. Er wiederholte die Frage.

„Nein!“ hauchte Elſe, ſinnlos vor Entſehen bei dem Gedanfen, hier — hier — in Gegenwart der Mutter be= kennen zu müſſen.

Die Vernehmung ging ſchon weiter. Alles fo mechaniſch, wie ein Uhrwerk. Schnell war fie fertig und konnte abtreten; der Beamte erwiederte die Verneigung der beiden Damen, er ſah Elſe wohlgefällig nach.

Als ſie aus dem Gerichtszimmer traten, ſtanden ſie vor Herrn Reinert, der ſich mit dem Gerichtsdiener unter-= hielt, während er wartete, bis ſeine Angelegenheit vor kam.

Er bli>te hoch auf, als er Elſe bemerkte, und ſie wih vor ihm zurü>, wie vor einem Geſpenſt, Dann ergriff ſie

Bibliothek. Jahrg. 1886. Bd. IV, 11