Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

— 294 —

2. April.

Wir machten eine Morgen-Toilette, gingen zu den Majeſtäten und erwarteten den Kaiſer, der um 11 Uhr ankam. Jmmer derſelbe unvergleihli<h liebenswürdige Menſch, vollex Güte und Herzlichkeit! Er umarmte mi<h mit warmem Gefühl und voller Rührung. Ja, er iſ ein Menſch, wie kein Anderer! — Die Grafen Tolſtoy, Nowaſſilzikoff und Dr. Well find mit ihm. Ex blieb eine Stunde mit uns, dann zog man ſih zurü>; um 2 Uhr war Diner mit allen Prinzen, den Miniſtern, Krüdener u. |. w. Von uns hat den Dienſt beim Kaiſer General Köhler, Oberſt Kruſe, Bollberg und Major Schöler. Nah Tiſh ging der Kaiſer zu Hardenberg, Abends tranken die Herrſchaften den Thee unter ſich. Die Stadt war illuminirt, die Majeſtäten fuhren umhex, es anzuſehen. Dann waren wieder die Prinzen und Fünſtlichkeiten, Oranien und die Höfe, kurz Alle beiſammen zum Souper; es dauerte bis Mitternacht.

3. April.

Der Kaiſer kam um 11 Uhr und frühſtückte mit der Königin und dem König. Das Diner war ungefähr wie geſtern. Dex Kaiſer iſt wirklich no< ganz derſelbe, wie früher: unverändert im Weſen und Ausdru> und in der Herzlichkeit, nux vielleicht ein BVischen mehr artificiell und ein Bischen mehr mit den jungen Damen beſchäftigt; aber er iſ doh ſehr weih und angenehm. Er hatte viele Menſchen zu ſprechen, ging nah dem Diner um 5 Uhr deshalb zu ſi< und kam erſt na< 8 Uhr wieder. Um 9 Uhr wurde ſoupirt, um 10 Uhx nahm er Abſchied und reiſte in dex Nacht weiter. Ex gab den vier Herren, die bei ihm den Dienſt gehabt hatten, ſ{<höne Geſchenke und mir gab ex die Hoffnung, ihn bald wieder zu