Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.

180 Der Condéer.

Würde ſie aber, wenn ex enthielt, was man glaubte, dar= übex eine Mittheilung machen? Dieſe Frage beſchäftigte die bedrüd>ten Gemüther der Jhrigen nun am meiſten. Endlich, endlich fam ſie wieder herein, ſtürmiſh, mit gerötheten Wangen und zwei aufgeſc<hlagene Brieſblätter in der Hand haltend. Sie ſtürzte an die Bruſt Renatens, die thx entgegentrat, und die Papiere fallen laſſend rief ſie in einem durchdringenden, erſ{ütternden Tone: „Nun müßt ihr Alles wiſſen! Lest! Lest! Die Geſchichte iſt zu Ende, eine greuliche Geſchichte, und Gott hat gerichtet.“

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Troß dex ungeheuren Begierde, welche dieſe Worte in den Jhrigen aufriefen, Kenntniß von den Schriftſtücken zu nehmen, rührte ſich keine Hand deswegen. Alle ſchienen wie gelähmt, ſelbſt der Juſtitiar, obwohl ſeine grauen Augen ſtechend auf die Papiere gerichtet waren, in denen ſo Wichtiges auh für ſein Amtsverlangen enthalten fein mußte.

Nur Lottchen in kindlicher Aufmerkſamkeit lief zu den Briefblättern und langte ſie vom Boden auf. Dieſer Vorgang rief einen mütterlihen Fnſtinkt in Loni auf. Sie raffte fich zuſammen, nahm dex Kleinen die Papiere ab und reichte ſie dem Juſtitiar.

„Leſen Sie es ihnen vor!“ bat ſie ihn und verließ daun mit ihrem Kinde an der Hand abermals das Zint= mer, damit das ſchon einſichtige Mädchen nichts von der Enthüllung des Geheimniſſes erfahre und au<h den Jhrigen die lähmende Befangenheit benommen werde,