Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.

68 Der Talisman des Weibes.

Augen dieſer lindernden Quelle. Schlummerlos zog Stunde auf Stunde vorüber, bis der Schlaf endlih wohlthuendes Vergeſſen auf ſie herabſenkte.

Nicht minder gequält erwog Hans Meiſchi> die Um= ſtände, während er langſam in ſeinem Zimmer auf und nieder ſ<hritt. Auch er fühlte, wenngleih in anderem Sinne, daß der heutige Tag ein gewiſſer Abſchnitt ihres Chelebens geweſen ſei, welcher, falls fie auf der betretenen Bahn fortſchritten, unſägliches Elend für beide Theile bringen mußte. Meiſchi> wagte ſich die Folgen von Zrma's heutiger Handlungêweiſe niht auszumalen. Wie hatte er fih in dieſem anſcheinend harmloſen Kinde geirrt! Es ſollte anders werden, ganz anders. Das ſchwor ſich der gewiſſenhafte Mann in dieſer Stunde mit heiligem Eide. Aber wie? Seine Macht reichte nur für die Zeit des Beiſammenſeins hin ; was Jrma's Emanzipationsgelüſt, ihr verderblicher Hang zur Romantik, ihre wuchernde Eitelkeit hinter ſeinem Rüc>en Schädliches ausbrüteten, das lag außer ſeiner Gewalt. Wer ſollte hier das Gleichgewicht fraulicher Sanftmuth und Würde aufrecht halten ?

Feſt entſchloſſen griff er zu Tante Käthe's heutigem Schreiben und durchlas es no< einmal aufmerkſam. Dieſe erfahrene Frau voll Herz und Geiſt hatte bereits in einem Falle ſchmerzlih Recht behalten — warum niht auh in dem andern ?

Tante Käthe urtheilte richtig: „Beiſpiel wirkt leben diger als Worte!“ Nicht trennend, wie Jrma behauptete, nein, bindend ſollte Margarethe Werner ſich zwiſchen ihnen bewegen, bis die Kluft des heutigen Tages ausgefüllt war