Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 3.

104 Dex Talisman des Weibes.

_ Zuvorkommend trat er in ihre Nähe. „Ah, Marcheſa, Sie wiſſen noh niht, daß Graf Freiberg einen zweiten Raub der Proſerpina in Scene geſeßt hat? Er entführt uns grauſam den Stern der Saiſon, eine Koryphäe im edelſten Sinne des Wortes: Garda Menari!“

„Eine Primadonna — der Bühne?“ fragte Gaëtan= nina, ſih mit ihrer ſchroffſten Haltung erhebend, denn alles Blut drängte bei den Worten des Präſidenten zu ihrem Herzen zurü>. „Eine Primadonna? Jſſt es ſo, Herr Graf?“

Ex verbeugte ſih ſtumm und, wie es für die Geſell= ſchaft den Anſchein hatte, verſtimmt durch die zaudernde, mißächtliche Betonung dieſer Worte.

Dex brennende Dru>k auf Gaëtannina’s Herzen wih einem eiſigen Fröſteln, welches ihren zarten Körper durchſchauerte, aber fie konnte lächeln, lächeln, obwohl alle Qualen enttäuſchter Liebe und verleßten Geburtsſtolzes ihren Buſen durchwühlten. Die ſchadenfrohe Neugier der Umſtehenden, welche dem abtrünnigen Ariſtokraten dieſe empfindliche Lektion gönnten, flößte ihr kein Mitleid mehr für ihn ein, um deſſen Seelenfrieden ſie einſt willig ge= ſtorben ſein würde, und ſich ſelbſt ſchalt die Marcheſa im bitterſten Hohn eine verliebte Närrin. Mit vernichtender Nuhe bli>te ſie dem Grafen in die finſterleuhtenden Augen, ſchritt gemeſſen an ihm vorüber und ſagte leiſe: „Meinen verſpäteten Glü>wunſh zu Jhrer Wahl!“

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Der junge Morgen nach dieſem Geſellſchaftsabend däm-= mete herauf, als Botho Freiberg, ſeiner Faſſung nicht