Bitef
rigen Ladys; auch die drei Hexen, die mit ihren verführerischen Einflüsterungen die originale Tragödie erst in Gang setzen, sind vorhanden als Mischung aus BDM-Mädchen, Militärpolizistinnen und Go-go-Girls: hübsche Harpyien des Grauens, die das monoman in sich kreisende, mit Blut geschmierte Geschehen antreiben und kontrollieren. Doch sie bewegen sich nicht von der Stelle, sondern sind eingebunden in ein statisches Arrangement: nur Chiffren und Bilder, untermalt von einer Musik, die die szenischen mit akustischen Hammerschlägen unterstreicht. Der Wiener Kurt Schwertsik hat sie geschrieben als Dialog für zwei Klaviere und Naturgeräusche. Die Klaviere werden nicht nur konventionell gespielt und wütend gedroschen, sondern auch gezupft und gerissen. Ihr Klang ist versetzt mit dem Kreischen der Riegel und Angeln des Höllentors, dem mikrophonverstärkten Trampeln, gelegentlich in Knobelbechern. Der Dolch als Mordinstrument spielt eine übergewichtige Rolle. Die Krone, Insignie der Macht, ist ständiges Objekt der Begierde. Der Koffer als
Fluchtgepäck und Behälter zur Aufnahme der Mordwerkzeuge wird zum Dauerrequisit. Gastmahlstafeln sind aufgebaut als Schauplätze grotesker Verteilungskämpfe und permanenten Verrats: trügerische Tableaux des Friedens. Durch Plastikschläuche an den weißen Wänden rinnt blutrote Flüssigkeit. Die Beseitigung des menschlichen Mülls, der blutigen Innereien, durch den farbigen Priester erfolgt regelmäßig in größeren oder kleineren Portionen; mal leert er nur einen Eimer, mal eine ganze Badewanne in den Orchestergraben, Die Tänze verstärken den Eindruck des Brutalen, sind keineswegs Mittel, der Realität zu entkommen. Wenn zwei miteinander tanzen, ergeben sich daraus sogleich kämpferische Auseinandersetzungen oder Chiffren der Überwältigung: einer auf dem anderen reitend, einer den anderen unterjochend, triezend. Schuldgefühl setzt sich in zittrige, fahrige Reaktionen um: Ensembletänze als hektische Eruptionen; die Furien sind los, wahnsinnig vor Angst oder blind vor Blutgier. Eine Stunde lang erlauben Kresnik und Heinwein der Aufführung nicht
die mindeste Aufhellung; ein makabres Karussell dreht sich lärmend im Kreise. Dann präsentieren sie plötzlich eine scheinbare Idylle: Feierabend im Liliputland, mit Kindern in Schlafanzügen vor riesengroßen Möbeln und Requisiten. Doch schon stehen die Schergen im Hintergrund: drei Irrenhauswärter mit Steigeisen an den Füßen. Sie tanzen noch einen grotesken Reigen mit den lieben Kleinen. Dann massakrieren sie sie sorgsam und phantasievoll. Danach verengt sich die szenische Perspektive zunehmend auf das zentrale Paar. Lady Macbeth (Susana Ibanez) flüchtet sich in immer verstörtere Soli und begräbt sich selbst unter einer umgestürzten Badewanne. Macbeth (Joachim Siska) wird immer deutlicher zu einem Bruder von Jarrys „Roi Übu“ und zunehmend stärker auch zum Opfer. Die Hexen ziehen Macbeth in ihren Tanz, entkleiden ihn und stecken ihn in riesige Stulpenstiefel, in denen er auf und ab hüpft wie ein trotziges Kind. Zunächst umtanzt ihn der Furienchor, dann umgeben ihn aus dem Bühnenhimmel herabfahrende Riesennägel wie ein Wald aus Raketen.
Und wenn man glaubt, das Stück wolle gar nicht enden, findet Kresnik noch ein Bild, das dem Faß sozusagen die Krone ins Gesicht schlägt. Auf offener Bühne windet man dem Macbeth ein Handtuch ums rechte Handgelenk und drapiert ihn zu jenem Totenbild in der Badewanne, das die Welt als letzten Eindruck des unglückseligen Uwe Barschei in Erinnerung hat. Gegen dieses Finale ist ebensoviel oder sowenig zu sagdh wie gegen das ganze Stück, das seine Sicht der Welt mit bohrender Intesität und manischer Verbohrtheit vorträgt. Man muß diese Sicht nicht teilen, wird aber zugeben müssen, daß es für seine Perspektive beklemmende Bilder findet. Diese „Macbeth“ ist kein feinsinniges Kunststück, sondern ein lauter, greller Schrei des Entsetzens. Aber der Irrsinn, den es nicht nur vorführt, sondern von dem es auch angetrieben wird, ist kein individueller oder gar privater, sondern durchaus der Irrsinn dieser Welt und dieser Zeit; er grinst einem tagtäglich aus vielen Zeitungszeilen entgegen. □ Jochen Schmidt, Frankfurter allgemeine Zeitung, 16 Feb. 1988,
Die Kieler Affäre in mörderischen Tänzen Der Tod kommt in der Badewanne. Den vom Tanz um die Macht erschöpften politischen Übeltäter geleitet ein zum Gegner gewordener Mitstreiter in einen Baderaum von klinisch reinem Weiß. Macduff tupft dem ans Ende seiner machtgeilen Karriere angekommenen Macbeth fürsorglich den Schweiß von Brust und Stirn. Dann wickelt er ihm das weiße Tuch ums rechte Handgelenk und legt den todesmatten Karrieremacher in die Wanne. Der Vorhang schließt sich wie eine Blende im Photo-Apparat: Von oben, von rechts, von links schieben sich dunkle Wände vor die Szene, bis wir im Ausschnitt das berüchtigte Bild vom Toten in der Badewanne erkennen.
So endet nach hundert pausenlosen Minuten im Theater der Stadt Heidelberg das neue Stück - Macbeth von Johann Kresnik für sein Choreographisches Theater. Es ist in Tanzwut, Präzision und Einfallskraft wohl das beste der Tanzdramen, die Kresnik - mit kritischem Blick auf die Familienverhältnisse seiner Titelhelden - in den letzten Jahren geschaffen hat (Sylvia Plath, Pasolini , Mörder Woyzeck). Die andere, die öffentliche Seite familiärer Dramen - die politische - ist in gleichnishaft archetypischer Kraft noch nie so kraftvoll, ja brutal hervorgetreten. Dies ist nicht zuletzt dem durch seine Bilder in photographischem Realismus, vor allem durch seine an Folter-Aufnahmen erinnernden Selbstbildnisse bekannt gewordenen Wiener Maler und Graphiker Gottfried Heinwein zu danken. Heinweins erste Arbeit für das Theater prägt diesen Macbeth und hat ganz offensichtlich den Choreographen zu neuen, kühnen Tänzen angeregt. Ja, aber darf man das, mit einem bereits historischen Bild wie dem toten Politiker in der Badewanne auf dem Theater spielenl Diese Frage wird laut im unterdrückten,
entsetzten Stöhnen, als die Besucher erkennen, welcher Aufruf zum Nachdenken ihnen in den letzten Minuten eines scheinbar in Shakespeare-Feme angesiedelten PolitDramas mitgegeben wird. Kresnik und Heinwein spielen nicht mit einer gerade aktuellen Bild-Assoziation. Für ihr Drama vom Kampf um die Macht, das sich in mörderischen Tänzen entfaltet, ist der Schluß überraschend sanft, nicht ohne Zärtlichkeit. Wie blickt Shakespeare auf das Ende seines Helden? Macduff kommt mit Macbeths Kopf auf einer Stange. Wenn man erlebt, wie der kindlich arglose Macbeth (Joachim Siska) von den politischen Ziehvätern, von der eigenen Frau, von den drei Hexen (die für die Verführbarkeit durch jede Art von „Medien“ vestanden werden können) erst zum skrupellosen Parvenu der Politik erzogen wird, kann man den Flinweis auf die Hauptfigur der Kieler Affäre nicht bösartig finden. Daß die Heidelberger bei ihrer Spiel-Tradition, Macbeth als politisches Lehrstück, als TanzDrama im Dienst der Aufklärung verstanden wissen wollen, mag ihnen
erlauben, ein wenige Monate altes Illustrierten-Photo endgültig in die Ikonographie des Jahrhunderts zu überführen. Mit der gleichen Schroffheit, mit der Heiner Müller 1972 „Macbeth“ in seiner bearbeitenden Übersetzung reduziert auf eine unhistorische Geschichte im Stillstand (Die Welt hat keinen Ausweg als zum Schinder) zwängen Kresnik/Helnwein die rauhe Mär aus schottischer Frühzeit in die gleißende Leichenhalle einer modernen Klinik. Im Orchestergraben schwappt ein Blutsee, in dem Gekröse dümpelt. Mit ohrenbetäubendem Dröhnen öffnet sich ein riesiges Metall-Tor im Hintergrund der Bühne. Ein hinter der Gelehrten-Brille scheu lächelnder, dunkelhäutiger Gottesmann im Gewand eines katholischen Priesters schleppt einen Eimer oder schiebt gleich eine Wanne voll Blut und Innereien über die Bühne und kippt alles platschend in die Naß-Deponie vor der Szene. Auf der Bühne stehen zu Beginn zwölf Badewannen, in denen bandagierte Mordopfer auf Leichenschau oder Organverwertung warten. Rührend klein und schwarz steht neben jedem Wannen-Sarg ein Reisekoffer.
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