Bitef
European Prize for Theatrical Innovation, which Johan Simons and Paul Koek received in Taormina in 2000. From then on, productions by Simons were no longer limited to merely being performed in other countries, but Simons himself is frequently asked as a guest director by German-language companies, an example being his direction of Hannibal for Schauspielhaus in Stuttgart. In 2003, he will direct the full cast of ZT Hollandia, its new name after a merger with Het Zuidelijk Toneel, in the musical theatre performance Sentiment! in the Ruhr Area as part of Gerard Mortier's Ruhrtriennale festival, to be followed in Munich by a guest production of Anatomie Titus by Heiner Müller, We can already inform you that in 2006 Johan Simons will direct the opera Simon Boccanegra by Verdi in Opera de Bastille in Paris. HEINER MÜLLER ÜBER ANATOMIE TITUS Der Plan dazu war alt, wie immer. Ich hatte eine Vorstellung davon seit meinem ersten Aufenthalt in Rom und seit dem CIA Putsch gegen Allende mit der Verwandlung von Fußballstadien in Konzentrationslager und Begegnungen von Jugendbanden von New York bis Rom. Dann wollten Karge und Langhoff Anfang der achtziger Jahre Julius Cäsar in Bochum machen. Ich hatte überlegt, eine Prosaübersetzung zu machen, weil wenig Zeit war, und weil die Prosa den Pomp wegnimmt, das Feudale, und das Politishe dann nackter hervortritt. Grabbe hat Marius und Sulla, im Schatten Napoleons, in Versen entworfen, Napoleons fall stürzte seine Sprache in die Prosa, die Politik war nicht mehr Schicksal, nur Geschäft. Es war die Prosa des verzweifelten Zynismus vor der Restauration, eine deutsche Entsprechung zum heiteren Fatalismus Stendals. Sein Vers war epigonal, eine Schiller Reminiszenz, entstanden aus dem Druck, der von Schiller als Vorbild für Dramatiker in Deutschland ausging. Der Cäsar - Plan wurde aufgegeben, weil am 1.10.1982 die Koalition in Bonn gekippt und Schmidt als Bundeskanzler gestürzt wurde. Karge und Langhoff hatten Angst, daß Julius Cäsar dadurch eine platte Aktualität kriegen könnte. Das hätte sie nicht interessiert, und mich auch nicht. Brutus Genscher und Cäsar Schmidt, das konnte man Shakespeare nicht antun. Da habe ich dann Titus vorgeschlagen, weil ich damit sowieso schon schwanger ging. Der erste Akt schien mir bei Shakespeare unerträglich, elisabethanische Konfektion, langweilig, das zu übersetzen, also eine Gelegenheit, einen Shakespeare - Akt zu erzählen mit Dialog Einsprengseln und Kommentar. Das ergibt auch eine Inszenierungsschwierigkeit. Man muß den ersten Teil anders inszenieren als den Rest. Mit dem Erzählteil kommt der position des Autors (beziehungsweise des Bearbeiters) wieder in das Stück, deren Verschwinden im Drama so leicht zur Routine führt, zur mechanischen Wiederholung. Es war wie ein Manövergelände, man konnte ein Formenarsenal ausprobieren für spätere Stücke. Wie schreibe ich über den Zweiten Weltkrieg, außer mit solchen Mitteln, Das war auch schon im Kopf, daß ich das für das nächste Stück brauchen werde. Andererseits ist Anatomie Titus ein actueller Text über den Einbruch
der Dritten Welt in die Erste Welt, mehr ein Seneca für den Jahrmarkt als eine Tragödie, nach den komprimierten, elitären Gebilden der Jahre vorher auch eine Ausschweifung, ein Abstieg in die Niederung, die das Theater braucht. Das Motto beschreibt die fragwürdige Position des Autors als Schreibtischtäter, beziehungsweise zwishen Opfern und Tätern, aus der Erfahrung der Diktatur: .Der Menschheit / die Andern aufgeschlagen wie ein Buch / im Blutstorm blättern". Die Goten haben Ovid gelesen, also eine fremde Kultur in sich aufgenommen. Und nun üben sie dieses fremde Alphabet an dem römischen Patrizierkind aus. Sie nehmen die Literatur beim Wort, gegen den Terror der Alphabetisierung, wie Eulenspiegel im Volksbuch. Es geht um das Verhältnis von Schrift und Blut, Alphabet und Terror. Im AfganistanKrieg drückte sich der Wiederstand gegen die Alphabetisierung, gegen das Aufzwingen eines fremden Alphabets noch darin aus, daß die Mudschaheddin die toten Verräter amputieren und kastrieren, die eigene Schrift, das eigene Alphabet den töten Körpern einschrieben. Auch die Nationalitätenkonflikte in der zerfallenden Sowjetunion sind ein verspäteter Widerstand gegen die stalinistishe Alphabetisierung, ein Rückgriff auf das eigene Alphabet, nicht nur ein Problem von sozialem Gefälle. Die Sprache ist die Wurzel. Der bulgarishe Versuch, der türkischen Minderheit bulgarishe Namen aufzuzwingen - mit den Namen nimmt man ihnen ihre Toten weg, den Lebenszusamenhang mit ihren Toten -, war, wie der Jugoslawienkrieg beweist, nicht die letzte Dummheit im Umgang mit der Differenz. Erst durch die Inszenierung der Gehirnwäsche, der die Goten den römischen Überläufer Lucius unterziehen, durch Karge und Langhoff in Bochum eine Dampfgrube auf der Bühne, in die der Römer versenkt wurde, und als er wieder herauskam, sprach er gotisch -, wurde mir ein anderer Aspekt der Titus - Adaption bewußt: sie erzählt auch die Geschichte des Nationalkomitees Freies Deutschland. An die Selbstdarstellung der Goten: „Wir haben Zeit, wir warten auf den Schnee / Der uns nach Rom weht. Rom läuft uns nicht weg / Die Städte stehen und die Goten reiten / Und keine Stadt steht auf aus unserm Hufschlag” wurde ich errinert, als ein junger Architekt aus Talinn mir sagte: „Die Russen zerstören alles, überall, wo sie hinkommen. Sie bauen nichts auf, sie können nur zerstören, weil sie den Tartarenstrum verinnerlicht haben/'So hat schon Marx seine Angst vor der Möglichkeit einer sozialistischen Revolution in Rußland beschrieben. Moskau ist eine Zeltstadt, eine Stadt, auf der Flucht, in ständiger erwartung der Tartaren, selbst die Stalinarchitektur hat noch die Ornamentik von Zeltgiebeln. Auch der Marxismus war ein fremdes Alphabet, von Lenin dem halbasiatischen Rußland aufgezwungen, das gegenläufige Resultat die Öffnung des Riesenreichs für den Kapitalismus, so wie Hitlers Rußlandfeldzug zur Öffnung Europas für den Kapitalismus, so wie Hitlers Rußlandfeldzug zur Öffnung Europas für die Flutwelle der Dritten Welt geführt hat. Der Zerfall der Sowjetunion in ihre Bestandteile öffnet mehr Türen und schwächt zugleich das Kapital. Jelzin hat Kafka gelesen: „Freuet euch, ihr Patienten - Der Arzt ist euch in Bett gelegt,"