Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

150 Elfte Ordnung: Paarzeher; zweite Familie: Kamele.

Mit Beginn des zweiten Fahres entwöhnen die Araber die Kamelfüllen. Hier und da erreicht man dies, indem man dem jungen Kamele einen an beiden Seiten zugeſpißten Pflo> durch die Naſenſcheidewand ſtiht. Der Pflo> kizelt oder verleßt die Kamelſtute am Euter, und ſie ſchlägt deshalb ſelbſt ihr Funges ab. Fn der Kamelſtuterei zu San Roſſore bei Piſa wird, laut Lombardini, ein anderer ſeltſamer Kunſtgriff angewendet, um die Kälber zu entwöhnen: die Stuten werden einfa geſchoren, und nun vermögen die Jungen ihre Mütter niht mehr zu erkennen. Wenige Tage, nachdem eine Stute geworfen hat, wird ſie wieder zum Arbeiten benutßt; das Junge trabt ledig hinterdrein. Auch die entwöhnten jungen Kamele werden mit auf die Reiſe genommen, damit ſie frühzeitig Märſche ertragen lernen. Je nach ihrer größeren oder geringeren Schönheit richtet man ſie vom dritten Jahre an zum Reiten oder zum Laſttragen ab. Da, wo es viele gibt, beladet man ſie erſt mit Beginn des fünften Lebensjahres, während man ſie in kamelärmeren Gegenden bereits mit Ablauf des dritten Fahres zur Arbeit zwingt. Die Reittiere werden von Knaben abgerihtet. Dem jungen Kamele wird ein leichter Sattel aufgelegt und eine S<hlinge um die Schnauze geſchnürt. Der junge Reiter ſeßt ſi in den Sattel und treibt es zum Traben an; ſobald es in Galopp verfällt, bändigt er es, legt es nieder und prügelt es; ſobald es Schritt gehen will, ermuntert er es dur< Zurufen und dur< Fuchteln mit der Peitſche, bis es ſih gewöhnt, im Trabe zu laufen, wenn es den Reiter auf ſi< hat. Mit Ende des vierten Jahres wird es zu größeren Reiſen benußt.

Gänzli<h unwahr iſt die Behauptung, welche man noch heute wiederholt, daß Kamele, denen man mehr aufbürdet, als ſie zu tragen vermögen, liegen bleiben, auh wenn man ihnen ihre Laſt wieder abgenommen hat, und, über die Gemeinheit des Menſchen entrüſtet, den Tod erwarten. Ein übermäßig beladenes Kamel ſpringt nicht auf, weil es nicht kann; erleichtert man aber ſeine Laſt, ſo erhebt es ſi ohne weiteres oder wenigſtens, wenn man es dur einige Hiebe anſpornt, wieder auf ſeine Füße. Anders iſt es, wenn ein Kamel bei längerer Wüſtenreiſe unter ſeiner Laſt zuſammenbricht; dann iſt es aber niht Störrigkeit, ſondern vollkommene Entkräftung, infolge welcher es meiſt für immer liegen bleibt, denn die Wüſte bietet ihm nichts, was ihm wieder neue Kräfte verleihen könnte, weil Nahrung und Getränk fehlt.

Der Preis für ein gutes Kamel \{<wankt je nah den verſchiedenen Gegenden. Ein ausgezeihneter Biſcharin wird, wenn man ihn aus erſter Hand nimmt, mit 200—800 Mark bezahlt, ein gewöhnliches Laſtkamel koſtet ſelten mehr als 90 Mark. Nach unſeren Begriffen iſt dieſer Preis freilich ein ſehr geringer; im Sudan drückt er eine hohe Summe aus. Junge und ſchlechte Kamele kann man ſchon mit 30 Mark kaufen. Faſt in allen Gegenden iſt der Preis eines Kameles dem eines Eſels ungefähr gleich; im Sudan dagegen koſtet ein guter Eſel bedeutend mehr als das beſte Kamel.

Das Kamel iſ mancherlei Krankheiten unterworfen; aber nur unter niederen Breiten treten dieſe Krankheiten ſeuchenartig auf. Nachtigal erzählt, daß unter den Kamelen einer Karawane „eine Art Grippe epidemiſh auftrat“, und fügt hinzu, daß die Tiere überhaupt „vielfah leichteren oder ſ{<wereren Lungenkrankheiten unterworfen ſind, ohne daß dieſe jedoh ſo gefürchtet werden, wie man bei Tieren erwarten ſollte, welche bei der geringſten Störung ihres Wohlbefindens mit unglaublicher Geſchwindigkeit herunterkommen und dur die ſcheinbar leichteſten Krankheiten dem Tode nahe gebracht werden.“ Jm Sudan ſoll eine Fliege große Verheerungen anrihten; nah W. Funker findet ſi dieſe „Surreta““ genannte Fliege, die übrigens nicht mit der Tſetſe zu verwe<ſeln iſt, ſhon am Mareb und iſt allen Haustieren, am meiſten aber den Dromedaren, gefährlih. Weit mehr Kamele aber, als dur alle Krankheiten zu Grunde gehen, ſterben auf ihren Berufswegen, und nur die wenigſten werden geſchlachtet. Der Tod des Tieres hat immer etwas Dichteriſches, er mag nun