Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

158 Elfte Ordnung: Paarzeher; zweite Familie: Kamele.

Das Klettern verſteht der Guanaco ausgezeihnet; er läuft gemſenartig an den ſteilſten Gehängen und Abſtürzen dahin, ſelbſt da, wo der geübteſte Bergſteiger niht Fuß faſſen kann, und ſchaut mit Gleichgültigkeit in die Tiefe hinab. Jn der Ruhe liegt das Tier wie das Kamel auf der Bruſt und den Beinen, und wie dieſes läßt es ſi< nieder und ſteht auf. Während der Ruhe kaut es träumeriſch wieder.

Gewöhnlich ſind die Guanacos wild und ſehr heu. Sie aten auf alles, was um ſie her vorgeht, beherrſchen einen weiten Geſichtsfreis und entfliehen, ſobald ſi<h etwas Verdächtiges zeigt. Jn Furcht geſeßzt, flüchten ſie oft meilenweit, halten jedo<h ihre Wechſel, meiſt tief ausgetretene Pfade, nah Möglichkeit ein. Der leitende Hengſt ſteht faſt immer einige Schritte von dem Rudel entfernt und hält mit größter Vorſicht Wache, während ſeine Herde unbekümmert weidet. Bei der geringſten Gefahr ſtößt er ein lautes, wieherndes Blöken aus; alle Tiere des Rudels erheben im Augenbli>e ihre Köpfe, äugen ſcharf nah allen Seiten hin und wenden ſi< dann raſ< zur Flucht. Dabei gehen, laut Meyen, die Weibchen und Jungen voraus und werden von den folgenden Männchen oft mit dem Kopfe vorwärts geſtoßen. Nur ſelten kommt es vor, daß ein weiblihes Guanacorudel den Menſchen ſi< nähern läßt. Meyen begegnete ſolhen zuweilen, ohne daß ſie Miene gemacht hätten, zu flüchten; ſie gingen dicht vor den Pferden vorbei, ſtanden ſtill und ſahen fie an; dann erſt trabten ſie weiter. Darwin ſchreibt dieſes auffallende, au< von ihm wiederholt beobachtete Betragen mit Recht ihrer ſehr ausgeprägten Neugierde zu. „Trifft man“, ſagt er, „zufällig plößlih auf ein einzelnes Tier oder auf einige, ſo bleiben fie gewöhnlich bewegungslos ſtehen und ſehen einen ſtarr an, bewegen ſih ſodann einige Schritte fort, drehen ſih herum und äugen wieder. Auf den Bergen des Feuerlandes und an anderen Pläßen habe i< mehr als einmal Guanacos geſehen, wel<he, wenn man ſi< ihnen näherte, nicht nur wieherten und ſchrieen, ſondern auch auf die lächerlihſte Weiſe, gleihſam als Herausforderung, ſi< bäumten und in die Höhe ſprangen. Daß ſie neugierig ſind, iſt gewiß; denn wenn ſih jemand auf den Boden legt und allerlei fremdartige Bewegungen macht, kommen fie faſt immer zux Erforſchung des Gegenſtandes allmähli<h näher und näher heran.“ Auch Göring beobachtete Ähnliches. Wenn er ruhig dur die Thäler der Kordilleren ritt, hörte er über ſih ein eigentümlihes Wiehern und ſah dann gewöhnlih den Leitbo> ho< oben auf einer ſteilen Klippe ſtehen und ſtarr und regungslos auf ihn herabſhauen. Um dieſen Bok verſammelte ſih na< und nah das ganze Rudel, und alle ſtanden und ſchauten zur Tiefe hernieder.

Die Paarunagszeit fällt in die Monate Auguſt und September. Häufige Kämpfe zwiſchen den um die Herrſchaft ſtreitenden Männchen gehen ihr voraus. Mit unglaublicher Erbitterung und heftigem Geſchrei ſtürzen die Nebenbuhler auf einander los, beißen, {lagen ſi, jagen ſi<h gegenſeitig umher und verſuchen einander niederzuwerfen oder in die Tiefe zu ſtürzen. Nach 10—11 Monaten Tragzeit wirft das Weibchen ein vollkommen ausgebildetes, behaartes und ſehendes Junges, ſäugt es vier Monate lang, bewacht es ſorgſam, behandelt es mit großer Zärtlichkeit und behält es bei ſich, bis es vollkommen erwachſen iſt und nun ſeinerſeits das Kämpfen und Ringen in Sachen der Liebe beginnt.

Zuweilen ſieht man einzelne Guanacos einem Rudel von Lamas oder Vicuñas ſich anſchließen, ohne ſih jedo<h eigentli<h unter das Rudel ſelbſt zu miſchen. Dagegen weiden Guanacos und Pacos bunt durcheinander auf den Hochebenen.

Dex Guanaco verteidigt ſih gegen ſeinesgleichen mit Schlagen uud Beißen, wogegen ev vox allen einigermaßen wehrhaften Feinden furchtſam entflieht, ohne an Abwehr zu denken. Selbſt ein großer Hund kann eines von dieſen großen Tieren feſthalten bis der Jäger herankommt. Wenn ſie ſih an Menſchen und Haustiere gewöhnt haben, werden ſie dreiſter, greifen zuweilen kühn einen Widerſacher an, verſuchen ihn zu beißen oder zu ſ{lagen,