Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

176 Elfte Ordnung: Paarzeher; dritte Familie: Horntiere.

Gebiet bilde vielmehr die grajiſche Kette der Alpen und zwar der hohe Schnee- und Cisgürtel der Thäler Cogne, Savaranche, Griſanche und vielleiht Dignes, alſo die zwiſchen Piemont und Savoyen gelegenen Gebirgszüge, eine Alpenwelt im allergroßartigſten Stile. Ein Hauptſtand von ihnen ſei der Pik von Grivola, von welchem alle in dieſem Jahrhundert erbeuteten Stücke herrühren ſollen.“ Ein Berichterſtatter der „Fagdzeitung“/, vermutlich Baron Peccoz ſelbſt, welcher im Lysthale größere Güter beſit und daſelbſt jedes Fahr im Hochſommer fleißig der Gemsjagd obliegt, gibt im Fahre 1864 genau dieſelben Ortlichfeiten wie King als die derzeitige Heimat des Steinwildes an. Daß ſi die Verhältniſſe in den folgenden 10 Jahren niht geändert haben, geht aus Mitteilungen des Grafen Wilczeï hervor, welcher im Fahre 1874 im Cognethale auf Steinbö>e jagte. Nach ſeinen damaligen Erfahrungen werden verſprengte Stücke nicht allzuſelten und zuweilen weit von ihren Standorten angetroffen: ſo begegnete ein Gemsjäger im Fahre 1874 einem gewaltigen Boe in den Gebirgen um Nauders, an der Tiroler und Schweizer Grenze.

Ein Umſtand abſonderlichſter Art deutet darauf hin, daß ähnliche Streifereien alter, einſiedleriſh lebender Steinbö>e öfter vorkommen, als bisher feſtgeſtellt werden konnte. Jn allen Teilen der an das Wohngebiet des Tieres grenzenden Hochalpen nämlich vernimmt man von Zeit zu Zeit aus dem Munde unerſchro>ener und wahrheitsliebender Jäger oder Bergſteiger, daß ſie und zwar regelmäßig auf den gefährlichſten Stellen dem Teufel in höchſteigener Perſon begegnet ſeien, daß er ihnen den Weg vertreten oder ſie in die Tiefe zu ſtürzen verſucht, endlich aber von ihnen abgelaſſen habe, und dergleihen mehr. Forſcht man genauer nach, ſo entpuppt ſi< aus der Erſcheinung allmählih ein gewaltiger Steinbo>, welchem von dem geträumten Wahngebilde des Aberglaubens zuleßzt nur die feurigen Augen noch bleiben. Wie beſtimmt der Steinbo> mit dem Teufel in Beziehung gebracht wird, geht auch daraus hervor, daß man im Fagdgehege des Cognethales einen beliebigen alten Steinbod> allgemein „einen großen Teufel“ (un grand diable), einen als Stü befannten aber „den großen Teufel“ (le grand diable) nennt. Dur H. von Kadich erfahren wir, daß auch im Höllengebirge, nachdem 1867 dort Steinbö>e ausgeſezt worden waren, die Holzknechte den Teufel öfters in eigener Perſon erbli>ten.

Jc will ſchon an dieſer Stelle bemerken, daß wir die Erhaltung des Steinbo>es in unſerer Zeit niemand anderem verdanken als dem Könige von Ftalien Viktor Emanuel, welcher, wie Leſſona und Salvadori bemerken, vom Antritte ſeiner Regierung an die größte Sorgfalt an den Tag legte, um der Ausrottung des edlen Wildes entgegenzutreten und ſeine Vermehrung zu fördern. Nach der oben angegebenen Mitteilung der „Jagdzeitung“ haben im Fahre 1858 die Gemeinden Cogne, Val Savaranche, Champorcher und Bomboſet ihr Jagdrecht als ausſ<hließlihes Eigentum dem Könige überlaſſen, welcher, nachdem er im Jahre 1863 auh die Gems- und Steinbo>jagd von der Gemeinde Courmajeur im Val d'Aoſta an der Gebirgskette des Montblanc vom Col de Ferrex bis zum Col de la Seigne erworben hatte, einen Standort des Steinwildes ſchaffen und denſelben allen Raubſchüßzen wenigſtens ziemlich unzugänglich machen fonnte. Wie Tu>ott, ein Mitglied des engliſchen Alpenvereins, gelegentlich mitteilt, trifft der Gebirg8reiſende in jedem Thale des Jagdgebietes auf Warnungstafeln, welche die Jagd verbieten. Jn jedem Haupt? orte von Cogne, Campiglia, Ceriſole und Savaranche wohnen je zwei Fagdaufſeher, welche unter einem in Cogne ſeßhaften Oberjäger ſtehen und das Gehege auf das ſtrengſte überwachen. Jnfolge dieſer Maßnahmen hat ſich der Stand in erfreulicher Weiſe vermehrt.

Ob der Steinbock in früheren Zeiten eine über die Alpen hinausgehende Verbreitung gehabt hat oder noch heutigestags auf anderen Gebirgen vorkommt, vermag ih mit Beſtimmtheit niht anzugeben, vielmehr nur das Nachſtehende zu ſagen. Mehrere jagd- und tierkundige Siebenbürger haben mix verſichert, daß das edle Wild in früheren Zeiten auch