Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Alpenſteinbo>: Vorkommen. Volksglaube. Hege. Leben2weiſe. 1

auf den Transſylvaniſchen Alpen gelebt habe, aber ſhon zu Ende des vorigen Jahrhunderts daſelbſt ausgerottet worden ſei. Noch jebt finde man hier und da Gehörne von ihm auf, welche die Bauern der höheren Gebirgsthäler bisher zwar aufbewahrt, jedo< wenig beachtet hätten. Bemerkenswerter als dieſe Angabe ſcheint mir eine Mitteilung meines Bruders Reinhold, welcher den Alpenſteinbo> oder wenigſtens eine ihm durchaus ähnliche Art als Bewohner des weſtlichen Teiles der Pyrenäen aufführt, und zwar geſtüßt auf einen im Muſeum zu Madrid ſtehenden Bo>, welcher aus den Pyrenäen ſtammen ſoll, und die Ausſage eines in Deutſchland erzogenen gebildeten Franzoſen, von Coutouly, welcher auf das beſtimmteſte verſichert, in den Pyrenäen friſh erlegte Steinbö>e mit nach hinten gebogenen, wulſtigen Hörnern geſehen zu haben. Coutouly, ein eifriger Gemsjäger, nahm einmal an einer von meinem Bruder geleiteten Fagd auf Bergſteinwild teil und wunderte ſih niht wenig, in den erlegten Bö>ken der Sierra de Gredos von dem Steinwilde des Hauptſto>es der Pyrenäen gänzlih verſchiedene Tiere zu erbli>en, hob auch, unbefragt, ſofort den bezeihnenden Unterſchied des Gehörnes hervor.

Das Steinwild bildet Rudel von verſchiedener Stärke, zu denen ſi< die alten Böcke jedo<h nur während der Paarungszeit geſellen, wogegen ſie in den übrigen Monaten des Jahres ein einſiedleriſhes Leben führen. „Fm Sommer“, ſo ſchreibt mir Graf Wilczek, „halten ſie ſi regelmäßig in den großartigſten und erhabenſten, an fur<htbaren Klüften und Abſtürzen reichen, den Menſchen alſo unzugänglichen Felſenwildniſſen auf, und zwar meiſt die Schattenſeite der Berge erwählend, wogegen ſie im Winter tiefer ins Gebirge herabzuſteigen pflegen.“ Die Ziegen und Jungen leben zu allen Fahreszeiten in einem niedrigeren Gürtel als die Böe, bei denen der Trieb nah der Höhe ſo ausgeprägt iſt, daß ſie nur Mangel an Nahrung und die größte Kälte zwingen kann, tiefer herabzuſteigen. Stechende Hite iſt dem Alpenſteinwilde weit mehr zuwider als eine bedeutende Kälte, gegen welche es in hohem Grade unempfindlich zu ſein ſcheint. Nah Berthoud von Berghem, deſſen Angaben in die meiſten Lebensbeſchreibungen des Tieres übergegangen ſind und noh heute Gültigkeit beanſpruchen, nehmen alle über 6 Fahre alten Böe die höchſten Pläße des Gebirges ein, ſondern ſi< immer mehr ab und werden zuleßt gegen die ſtrengſte Kälte jo unempfindlich, daß ſie oft ganz oben, gegen den Sturm gewendet, ſi<h wie Bildſäulen aufſtellen und dabei nicht ſelten die Spißen der Ohren erfrieren. Wie die Gemſen weiden auch die Steinböcke des Nachts in den höchſten Wäldern, im Sommer jedo<h niemals weiter als eine Viertelſtunde unter der Spigte einer freien Höhe. Mit Sonnenaufgang beginnen ſie weidend aufwärts zu klettern und lagern ſi<h endli<h an den wärmſten und höchſten, na< Oſten oder Süden gelegenen Pläßen; nachmittags ſteigen ſie wieder weidend in die Tiefe herab, um womöglih in den Waldungen die Nacht zuzubringen. Wie Tuckott von einem Jagdauſſeher erfuhr, ſieht man Steinböcke am häufigſten vor 6 Uhr morgens und na< 4 Uhr nachmittags; in der Zwiſchenzeit ruhen ſie. Bei ihren Weidegängen halten ſie nicht allein ihre Wechſel ein, ſondern lagern ſih auh regelmäßig auf beſtimmten Stellen, am liebſten auf Felſenvorſprüngen, welche ihnen den Rücken de>en und freie Umſchau gewähren. Erfahrene Jäger verſichern, Steinböcke tagelang nacheinander auf einer und derſelben Stelle wahrgenommen zu haben, und dieſe Angaben werden dur das Betragen gefangener nur beſtätigt.

„SBelegentlih meiner Beobachtungen des Steinwildes“, ſo bemerkt Mützel, welcher, um die Schönbrunner Gefangenen zu zeichnen, ſich 10 Tage nacheinander jedesmal mehrere Stunden in dem von ihnen bewohnten Gehege aufhielt, „iſt mir die Ordnungsliebe der fleinen Herde aufgefallen. Die Tiere ſcheinen ſih gewiſſen ſelbſtgegebenen Geſeßen unterzuordnen und dieſe ſtreng zu befolgen. Bei den Schönbrunner Gefangenen äußerte ſich

der Ordnungstrieb darin, daß faſt jedes einzelne der älteren Stücke ſeinen beſtimmten Brehm, Tierleben. 3. Auflage. II. 12