Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

[84 Elfte Ordnung: Paarzeher; dritte Familie: Horntiere.

Küche und Milchkeller. Die Hoffnung, daß das Tier nah Ablauf der Paarungszeit wieder zu ſeiner alten Gefellſhaſt, wel<he währenddem ruhig auf den höheren Alpen weidete, zurü>fehren würde, erwies ſih als eitel; denn wenige Tage, nachdem er einer über ihn verhängten Haft entlaſſen und auf ſeine Höhen zurü>gebraht war, erſchien ex plößlih zu Wilderswyl, hinter einer Herde von Ziegen einherrennend, welche, von ihm gejagt, in voller Eile in das Dorf gelaufen kam. Entſprechend ſeiner ungebändigten Urkraft hatte unſer Bo binnen kurzem mit den Hausziegen der Alpen eine zahlreiche Nachkommenſchaft erzeugt und dieſer viele von ſeinen Tugenden vererbt. Seine Sprößlinge liebten wie er das Erhabene, erfletterten die höchſten Spißen, verführten die ſittſamen Hausziegen zu ähnlichen Streichen und verwandelten \<ließli< die Milch der frommen Denkungsart der Geißen und ihrer Herren und Herrinnen in gärend Drachengift. Von neuem wurde die höhenbewohnende Menſchheit klagbar, und eine no<malige Verſezung des Boes war die Folge. Man wies ihm die Grimſelalpe an; aber auch hier verharrte er in ſeinem Sinne, band mit allen Hunden, ſelbſt den größten, an und warf ſie, wenn ſie ſi ſtellten, mit kfühnem Schwunge ſeines Gehôrnes übermütig über ſeinen Kopf weg, ſtellte ſih herausfordernd auf den Pfad der höhenklimmenden Gebirgswanderer und verurſachte Schre>en und Entſezen, wo und wann ex ſi zeigte. So ſah ſi endlich die Behörde genötigt, gegen ihn einzuſchreiten; ein hochnotpeinliches Halsgeriht wurde über ihn verhängt und der freiheitsdurſtige, urkräftige Geſell von Leben zum Tode gebraht. Eine der Baſtardziegen, welche treuinnig mit ihm zuſammengehalten hatte, blieb verhältnismäßig ſanft und fromm bis an ihr Ende; die Nachkommen aber, welche er in unre<htmäßiger Ehe mit Hau8ziegen erzeugt hatte, zeihneten ſih bei Zunahme des Alters gleichfalls dur beſondere Wildheit aus. Solange ſie no jung waren, beluſtigten ſie die Sennen dur ihre mutwilligen Sprünge und Gebärden; als ſie jedo<h älter und kräftiger wurden, fielen ſie den Eignern zur Laſt und wurden ſämtlich geſchlachtet. So endete die Berner Steinbo>3zucht, ohne daß der beabſichtigte Zwe> dur ſie erreiht werden fonnte.

Ein Verſuch, das Steinwild im Höllengebirge (Oberöſterreich) einzubürgern, iſt ungünſtig verlaufen. Von den im Fahre 1867 ausgeſeßzten 20 Blendlingen hat man, wie Ph. Paulitſ<hkïe auf Grund amtlicher Auskunft uns mitteilt, im Laufe der Zeit eine Geiß geſchoſſen, während vier Stü>k eingegangen gefunden worden ſind. Was mit den übrigen geſchehen, läßt ſih niht feſtſtellen. Heutigestags dürfte im Höllengebirge kein Steinwild mehr vorhanden ſein, wenigſtens iſt ſeit vielen Fahren kein Stü mehr geſehen worden. Beſſer mag die Einbürgerung des Steinwildes im Tännengebirge (Salzburg) gelingen, wo im Jahre 1876 Fürſt von Pleß einige 20 aus Savoyen bezogene Steinbö>e ausgeſeßt hat. „Der Steinbo>“/ ſchreibt Kronprinz Erzherzog Rudolf, „welcher noh im ſpäten Mittelalter im Tännengebirge gehauſt hat, freilih auh damals niht ohne künſtlihe Nahſchübe aus dem Zillerthale, iſt neuerdings aus den Bergen Piemonts nah dem Tännengebirge verpflanzt worden, und nah mancherlei Mißgeſchi> ſcheint jeßt die Fortdauer des prähtigen Wildes geſichert, das ſo vortrefflih in die wilde und großartige Landſchaft paßt.“

Jn den erſten Novembertagen des Jahres 1856 unternahm ih in Geſellſchaft meines Bruders Reinhold und eines gemeinſchaftlihen Freundes, unter Leitung eines eingeborenen kundigen Jägers, eine Beſteigung der Sierra Nevada in Südſpanien, in der Abſicht, auf Steinwild zu jagen. Die Zeit der Jagd fällt eigentli< in die Monate Juli und Auguſt; wir verſuchten unſer Glü> im November, Schneegeſtöber und eintretende Kälte zwangen uns aber leider zur Umkehr. Um ſo erfolgreicher jagte mein Bruder ſpäter auf Steinböke in den mittleren Teilen des Landes, nahdem er ſih, zum Danke für geleiſtete ärztliche Hilfe, Der Mitwirkung der Bewohnerſchaft eines Dorfes am Fuße der Sierra de Gredos verſichert