Die Geſchichte des Weltkrieges 1914/17.

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ſten Gerüchte über ruſſiſhe Auflöſung verbreitet wurden, arbeitete und leiſtete der ruſſiſ<he Generalſtab hö<ſt Achtbares. Die Menſchenmaſſen rollten heran und wurden gut verpflegt, für den zu erwartenden Hunger der Geſhüßrohre wurde vorgeſorgt. Kerensfi fand tn Bruſſilow einen ton__ genialen Helfer. Sein Name iſt im ruſſiſhen Heere als der des Siegers von Luck und von Wolhynien in gutem Klang. Seine Sommeroffenſive war, was Geländegewinn und Zahlen von Gefangenen wie Geſhüßen angeht, einer der wenigen ruſſiſhen Erfolge. Von dieſen Zeiten her kannte das Heer ja allerdings ſeine rüdſihtsloſen Methoden des Maſſenvortreibens, aber gerade das ſollte ja diesmal mit der beſſeren Artillerievorbexeitung anders werden. Alles war alſo gut vorbereitet und die Frontſtelle des Vorbrehens und Dur<ſtoßens war ſo gewählt, daß der militäriſ<he Erfolg der Eroberung von Lemberg zugleih ein. politiſher Erfolg : großen Stiles werden mußte. - Die Polenfrage, für Deutſchland mehr ein außenpolitiſches, für Öſterreih-Ungarn gerade in dieſen Tagen ein innerpolitiſhes Problem von ſ{<werſter Bedeutung, ſollte aufgerollt und als Sprengmittel benußt werden. —

Die Rehnung hatte nur einen großen Fehler: ſie [<äßte troßg aller Kriegserfahrung von dreißig Monaten die Energie und Überlegenheit der deutſhen Führung wie der deutſchen Truppen, den Geiſt, der unſer Heer beflügelt, immer wieder falſ< ein. Wie weit dieſer ruſſiſhe Fehler gerade auf die falſhe Ententeaufflärung zurü>geht, ſoll hier niht unterſuht werden. Der Entente brauchte es ja nur darauf anzukommen, den ruſſiſhen Bundesgenoſſen zum Handeln zu bringen, ſeine Maſſen in Shwung zu verſeßen, um deutſhe Truppen na< dem Oſten anzuziehen und ſo ihre eigene Weſtfront zu entlaſten. Die Ehre und das politiſche Verdienſt (wie au< den daraus entſpringenden Vorteil), dem Gegner dann den Todesſtoß zu verſeßen, hätten ſih Engländer und Franzoſen do< niht entgehen laſſen.

Am 1. Juli bra der Ruſſenſturm los. Wenige Tage zuvor ſuchte der ruſſiſche Heeresberiht und ſuhten auh Petersburger Meldungen noh kleine deutſhe Patrouillenunternehmungen (die an ſih nur eine vorbeugende Abwehx und Aufklärung waren) als Beginn einer deutſhen Offenſive hinzuſtellen, fabelten von Gasangriffen und von Fliegerproklamationen mit Kampfanſagen. Das war die leßte Vorhbereitung dex ruſſiſhen Volksſtimmung, war der leßte Anſporn für noh widerſtrebende Soldaten, ſi< nun | gu verteidigen, wo doh der Gegner angreife. Am 1. Juli ging der Borhang auf und fiel die Maske.

_ Der Angriffsraum liegt zwiſhen den Bahnſtre>en Lemberg—Tarnopol und Lemberg—Chodorow—RohatynDſtrow, alſo zwiſchen Narajowkta und oberer Strypa. Es iſt blutgetränfter, Heißumſtrittener Boden, den Bruſſilow zum Stoße wählte. Als im Sommer 1915 der Durhbruch von Gorlice der deutſhen Südarmee Luft gemaht hatte, ſtieß ſie über die Karpathen vor und beteiligte ſih an der Wiedereroberung Galiziens. Teile von ihr traten dann unter dem alten Führer Linſingen als Bugarmee den Vormarſh über Breſt-Litowsk hinaus an, andere Teile wurden Der Führung des Generals Grafen Bothmer unterſtellt 11D wandten ſi oſtwärts, bis ſie an dem Strypaeinſchnitk für Monate feſten Halt fanden. Hier traf ſie dann die große ruſſiſche Sommeroffenſive des Jahres 1916. Frontal waren ihre Linien niht zu erſ<hüttern. Aber im Norden zwang der Bruſſilowſhe Stoß über Olyka—Luck hinaus die bundesgenöſſiſ<hen Reihen zurü>, Brody ging ver-

Kampſfſlieger Leutnant d. N. Heinrich Gontermann, Ritter des Drdens Pour le Métite, der bis zum 1. Juli 1917 2 feindliche Flugzeuge zum

Abſturz gebracht hat.

_flüßchen verläßt.

Illuſtrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/17.

loren und die linke Flanke wurde bedroht. Jm Süden drang der Feind über Czernowiß in die Bukowina ein und nahm Kolomea. Es gehörte alle Klugheit und Umſicht der Führung, wie alle Schneid der Truppen dazu, das ruſſiſ<he Ziel der Abklemmung der ganzen Südarmee und ihrer Gefangennahme zu vereiteln. Unter [<ärfſten Kämpfen ging es zurü>. Die neue Linie, an der ſich die ruſſiſhe Offenſivkraft bra, ging vom- Panturpaß nah Nordoſten hinter der \<warzen Byſtriz her und diht weſt= li< Stanislau vorbei zum Dnjeſtr, den ſie zwiſhen Jezupol und Halicz überſchritt. Dann bildete die Narajowka bis zum Dorfe Lipnica Dolna die Grenze und dort wendete ſih die Front wieder mehr öſtlih über die Hochebene der lieblihen „Podoliſhen Shweiz“ weg. - Südlich von Brzezany, bei Potutory, wurde der Zlota Lipaabſchnitt überſchritten und ihr fleiner linfſeitiger Nebenbac, die Ceniowfta, diente als Hindernis zwi=ſhen den Linien. Dann ging es immer in nordöſtliher Richtung über Strypa und Bahn Lemberg—Tarnopol bei Zborow weg, bei Zwyzyn hinter die Graberfa und dann hinauf _zum Obexrlaufe des Styr. Jn un= geheurer Breite verſuchten die Ruſſen von Kirlibaba bis Kowel, alſo von ‘den Karpathen bis zum Stochod, dieſe neue Front zu berennen und zu dur<=ſtoßen. Am 16. September und am 17. hatte die Südarmee gerade in

ihren auh jegt wieder angegriffenen Stellungen zwiſhen- Narajowka und Ceniowïta den Hauptſtoß abzufangen. Deutſche, Türken und ÖſterreicherUngarn kämpften dort. Bis in die Mitte des Novembex hinein dauerten die Ausläufer dieſes Hauptangriffes, das Streiten um einzelne örtlih begrenzte Punkte, wo der Ruſſe Erfolg gehabt hatte und nun wieder vertrieben werden mußte. i Es iſt landſhaftlih eine der [<önſten Gegenden der Oſtfront, um die damals und jeßt gerungen wurde. Die podoliſhe Hochebene liegt etwa 250 Meter ho< und ihre höhſten Kuppen er=reihen 400 und 470 Meter. Sanſt ge=Tſhwungene Höbhenrüden werden dur< prächtige Buchen- und Eichenwälder y belebt, tiefeingeſ<hnittene Täler ſind an Flüßhen und Hängen diht beſiedelt. Dex ſru<htbare Boden trägt reihe Ernte an Mais, Erbſen, Hafex, Gerſte, Tabak, aus üppigen Gemüſegärten und Obſtanlagen leuchten die ſauber und freundli<h weiß geſtrihenen Häuſer und Höfe dex polniſ{hgaliziſhen Bauern. Das Land exrin=nert zuweilen an Rheintäler, man<hmal an die S<hwäbiſhe Alb, häufig an Thüringen. Die Stadt Brzezany, | die nur Zwei oder drei Kilometer

hinter dex etwas vorſpringenden Fronte>e liegt, iſt, hübſ< in eine podoliſhe Schlucht gebettet, ein halbverſhlafenes, nettes, Éleines, ſauberes Provinzſtädthen mit vielen hiſtoriſhen Architekturen umd Denkmälern (ſiehe den Artikel

Seite 118). | E Ihr galt dex ruſſiſhe Hauptſtoß. Es war augen[ceinli< ruſſiſcher Plan, die Stadt zu nehmen, um damit Straßen und Bahn nah Lemberg zu gewinnen, die vorſpringende Ausbuchtung einzudrü>en, um dann nah re<hts und links hin die Front der Südarmee auſzurollen. Um den Gegner zu täuſchen und abzulenken, begann das feindlihe Feuer. und der Jnſanterieſtoß ſhon etwas früher weiter nördlih, oberhalb des Dorfes Ceniow, wo die Front das CeniowkaDort führten die Linien vor dem im Tale liegenden langgeſtre>en Dorfe Koniuchy auf Höhen- rüden entlang. Am 1. Juli ging das Dorf verloren, die Front wurde in eine auf rü>wärtigen Hügelketten vorbereitete Stellung zurü>genommen;, am 2. Juli erfolgten ſtarke - Angriffe der dur< örtlihe Reſerven verſtärkten

Hoſfphot. H. Beoſemanu, Met, *