Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

18. Indien.

‚Du Mutterland mit deinen Aeterhöhen Zunächst des Lichtes schöpferischem Kusse.“

Bhagavad Gitfa.

a) Der Hinduismus.

Indien ist die Welt der Übertreibung. Unter einer Sonne, . vergleichbar dem Brande des Saurieralters, als in Wäldern voller riesiger Schachtelhalme, unheimlicher Kolosse wüste Brünste bebten, die die müde gewordene Welt nun vergaß; — unter einer Sonne, in der man das Lebenswachstum sieht und oit am Morgen erwacht in einer über Nacht um das Haus gewachsenen blumigen Gartenwildniß, durch welche man mit Beil und Axt sich mühsam einen Weg bahnen muß, unter solcher Sonne ist kein Platz vorhanden für den Geist des Maaßes und der Nüchternheit, welchen hervorlockt nur: die lebenzusammenballende Kälte.

Alles geriet ins Uferlose. Mahabarata und Ramajana, die indischen Epen, umfassen 124 Tausend Slokas (Verse). Fantastisch, fabelhaft, ungeheuerlich sind alle geschichtlichen Angaben des indischen Schrifttums. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß indischen Heiligen zugeschrieben wird ein Lebensalter von 100000 Jahren. Das Gesetzbuch des Manu, welches wahrscheinlich um 500 v.. Chr. entstand, hat nach Angabe der Hindu ein Alter von drei Milliarden Jahren. Die indischen Kalpas, die Weltabschnitte, zählen sogar nach Myriaden. —

Von über 300 Millionen Hindu sind kaum zehn Millionen dem Buddha, kaum zwei Millionen der strengeren Werkheiligkeit des Islam zugefallen, während alles andere Volk verwurzelt blieb in den ungeheuerlichsten Naturdiensten einer weit über _ alle Menschendenkkraft hinauslangender Lebensmetaphysik; verschwistert der Erde bildender, zeugender und träumender Lebensschwunggewalt.

Wir haben im Hinduismus die einzige sowohl von aller Sittenlehre wie von jedem Gottes- und Geistesbegriff völlig freie, urtümliche Lebenseinsicht; innerst verwandt dem Seins. gefühl altgermanischer und vorhomerischer Urzeit. Denn dort,