Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

19 { dieses Geschäft nicht entgehn. Ein amerikanischer Unternehmer bot dem enttrontem deutschen Kaiser, dem Kronprinzen sowie den bekanntesten Volkshelden wie Ludendorfti, Hindenburg, Tirpitz Renten an für den Abkauf von Lebenserinnerungen. Man bedenke, was wohl ein naiver Volksheld des älteren Deutschland, was etwa Scharnhorst, Stein, Moltke oder Bismarck geantwortet hätten, wenn der Feind, welcher gestern mich niedergerungen hat, heute meinen Herzensschrei gegen Geld von mir abzukaufen unternimmt. Den Niedergang der Gesinnungen zeigt es an, daß solches Geschäft möglich war, ohne daß auch nur ein einziger deutscher Mann sich wunderte und daran Anstoß nahm. Ludendorff erhielt 40 000, Hindenburg 20.000, der ehemalige Kaiser und der Kronprinz angeblich eine Million Dollar vom Auslande bezahlt. So schreiben sie denn ihre Lebensbücher. Wie aber kamen die zustande?

Ehemals ist es: wohl geschehen, daß ein Mensch, gleich Rousseau, vor dem Spiegel der Weltgeschichte stehend, sich selber in aller Tierzenseinfalt für die Nachwelt putzte und schminkte. leute benutzt man andere für dieses Selbstverklärungsgeschäit. Kaiser und Kronprinz mieteten einen ‚geschikten Literaten‘. Der unternahm es, die Lebensgeschichte der hohen Flerren sozusagen auf sympatisches Menschentum hin zu frisiren; das eine Mal im Tone eines fröhlichen Leutnants und Flitchen Juchhe; das andere Mal im würdigem Tone des in der Verbannung trauernden Vaterlandsfreundes. Beide Male im Tone der Ich-Erzählung.

:Die seelenarme Entpersönlichung der Lebensläufe kamn wohl kaum erausamer beleuchtet, werden als durch den Umstand, daß ein anderer es fertig bringt, meine Denkwürdiskeiten zu schreiben; nicht ursprünglich wie die köstlichen unortografischen Ergüsse des alten Blücher oder unmittelbar wie Strindbergs oder Dostojewskis Lebensbeichte, sondern geformt, hergestellt, sachlich, ein ‚Buch‘ unter tausend Büchern.

Ich komme zum zweiten Merkmal des Kulturrummels; der Massenhafitigkeit. Wir drucken in Deutschland zu ieder Biichermesse etwa vierziegtausend neue Bücher und beweisen damit, daß wir das geistloseste aller Völker sind. Denn wie wären wir sonst im stande, das Seltene entfrommend so zu vervielfachen, das Hohe vervielfachend so zu entfrommen? Im gegenwärtigem Jahre (1921) erschienen trotz gradezu un-