Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

106 Neueſte Geſchichte. 1. Zeitraum.

Stellung aufgeben und ſi<h auf Seite des Stärkeren ſhlagen würde. Was das Volk betrifft, ſo war es gegen das Direktorium und die Ver= faſſung gleichgültig, und weder zu deren Bekämpfung noh Vertheidigung geneigt. Die ſein beſonderes Daſein begünſtigenden Ergebniſſe der Re= volution wurden vom Direktorium niht bedroht, und das Gefühl der politiſchen Freiheit war durh die Schre>ensherrſchaft getödtet worden. Es hätte der Oppoſition, bei mehr Unbefangenheit des Urtheils, niht entgehen können, daß das Volk die Armee, welche, durc die davon getra= genen Erfolge verwöhnt, ſich als die Schiedsrichterin Frankreichs zu be= trachten anfing, ohne Widerſtand gewähren laſſen würde. Die bewaſſnete Macht ſah aber, wie ihre Führer, die ſi alle aus dem Boden der Revo= lution erhoben hatten, das Streben nac einer Wiederherſtellung der Mo= narchie, welche in jener Zeit nur die der Legitimität ſein konnte, als eine Drohung und Herausforderung an.

Die Oppoſition ſchritt, im Vertrauen auf die Unpopularität der meiſten Mitglieder des Direktoriums, und von demſelben keinen entſhloſ= ſenen Widerſtand erwartend, auf der eingeſchlagenen Bahn , ohne ſich umzuſehen, vor. Alle Mittel und Gegenſtände des Angriffs ſagten ihr zu. Da vas Direktorium in den beiden Räthen eben ſo eifrige Verthei= diger als heftige Widerſacher beſaß, ſa kam es zwiſchen denſelben zuweilen zu den zügelloſeſten Ausbrüchen der Leidenſchaft, und blieben ſelbſt thät= ſiche Beleidigungen niht aus.

Da von allen Seiten Klagen über Nüfſtände in der Gehaltsaus« zahlung der Beamten, über mangelhafte Beſoldung der Armeen einliefen, und das Direktorium zu gleicher Zeit neue Bewilligungen zur De>kung ſeiner Ausgaben verlangte, ſo wurde ihm die Aufſicht über den Staats= ſas genommen, und einer aus den beiden Räthen gezogenen Kommiſſion anvertraut. Camille Jordan, Deputirter von Lyon, trug bei den Fünf= hundert auf eine Reviſion der Kultusgeſebße an, auf Zurücknahme der für vie Geiſtlichkeit beſtehenden Verpflichtung, die Verfaſſung zu beſchwören, auf Erlaubniß für die Gemeinden, ſich des Glo>engeläutes zu bedienen, was wie jede kirhlihe Demonſtration verboten war, an. Als ein bedenkliches Zeichen für die Stellung des Direktoriums konnte die Erwählung Heinz rich Lariviere's, eines der entſchiedenſten Führer der Reaktion, zum Prä= zidenten ver Fünfhundert gelten. Die Regierung ward der Verleßung des Briefgeheimniſſes angeklagt, und Bonaparte's Verhalten gegen Ge= nua und Venedig, als ein Bruch des Völkerrechts, laut getadelt. Mehre Anixäge auf Milderung bei Behandlung der wegen Eidesverweigerung verz hafteten oder veportirten Prieſter, und auf Unterſcheidung zwiſchen den Kaz