Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

116 Neueſte Geſchichte. 1. Zeitraum.

Demüthigungen allex Art ausgeſeßt. Es war für Venedig ein verhäng= nißvoller Umſtand, daß es nicht nur mit dem größten , ſondern au< mit dem rüſi<tsloſeſten aller republikaniſchen Feldherren, mit dem, welcher ſich am Wemgſten an Recht und Herkommen kehrte, ſih in Berührung zu ſeen gezwungen wurde. Wenn nicht alle Thatkraft und Staatsweisheit in der venetianiſchen Ariſtokratie, dur den langen Mißbrauch unumſchränukter Herrſchaft, erloſchen geweſen wäre, ſo würde dieſelbe mit einer dex kriegführenden Mächte in Bund getreten ſein, ſich in eine Ach= tung gebietende Stellung verſet, und in dieſem Falle wenigſtens das gänzliche Aufhören ihres Staates verhindert haben.

Bonaparte, dem von der Natux, außer feinem militairiſchen Genie, au die Gabe politiſcher Vorausbere<hnung verliehen worden, hatte, bald nach ſeinen erſten Siegen über Sardinier und Oeſterreicher, weit in die Zukunft zu bli>en angefangen. Er ſcheint von der Zeit an, wo der Kriegsſchauplaÿ an den Mincio und die Etſch hin verlegt wurde, die Rez publik Venedig als Mittel zur Erlangung eines, für Frankreich vortheilhaften, Friedens mit Oeſterreih betrachtet zu haben. Sowohl die Schwäche der venetianiſchen Regierung als die Lage ihres Gebietes fonnte ihn auf dieſen Gedanken führen. Er verleßte und drängte den venetianiſhen Senat, um ihn dur< ſeine Geduld in den Augen der Welt zu erniedrigen, und rehnete ihm zugleich ſeine etwaigen Klagen und Beſchwerden über erlittene Mißhandlung als einen Ausdru> feind= ſeliger Geſinnung, um Veranlaſſung zu einem entſchiedenen Bruche zu finden, an. Bonaparte bemächtigte ſi< niht nur, ohne daß dies, wie bei den Oeſterreichern, von den militairiſhen Operationen durchaus nothwendig gemacht worden wäre, venetianiſcher Landſchaften, ſondera begünſtigte auh die in den Städten der Terra ferma ſich regende Neigung zum Abfall von der venetianiſchen Herrſchaft, und ließ zu dieſem Zwe, in den von ſeinen Truppen beſezten Ortſchaften die Bildung ge= heimer Vereine, und ſelbſt öffentliche Kundgebungen dieſer Venedig feind= lichen Geſinnung zu.

Die Ideen der franzöſiſchen Revolution hatten fi< in dem venetia= niſchen Gebiet, bei der argwöhniſchen Strenge der dortigen Polizei und Cenſur, bis zu Bonaparte's Eroberung8zuge , weniger als in anderen Theilen Italiens verbreitet. Aber nah der Beſezung der Lombardei dur die Franzoſen ward in den Städten der Terra ferma, mit dem Ge= räuſh ihrer Waſſen, bald auh der Wiederklang ihrer Meinungen ver= nommen, und drang allmälig bis indie Lagunenſtadt ſelbſt ein. Die Verweichlihung und Entartung der venetianiſhen Ariſtokratie hatte diez