Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

menhang die Oberlippe mehr Abwehr-, die Unterlippe mehr Angriffswert; jene bedeutet mehr den Trotz, diese mehr die Verachtung. Wir sprechen ja auch von einer trotzig aufgeworfenen Oberlippe und einer verächtlich vorgeschobenen Unterlippe (Tabelle 17).

Die Abweisung ist jedenfalls deutlich bei Spinoza (Fig. 25). In das Shakespeare-Bild (II, 9) bringt sie einen Zug, der ebensowenig zu Shakespeare paßt wie der übrige Ausdruck. Eine gefährliche Note enthält die Stellung bei Kürten (XVI,?) und auch bei Napoleon (II, 1). Mehr auf idealistische Selbstbehauptung ist sie jedoch bei dem Maler Karl Motz (XIV, 9) gerichtet und auch die Oberlippe unsres Straßenkehrers (XVI, 3) verrät etwas von seinem idealistischen Trotz.

Die Schmerzstellung (Tabelle 19)

Hier allerdings ergibt sich gegenüber der Ekelstellung und den ihr verwandten Einstellungen ein völlig verändertes Bild. Trat dort hauptsächlich die Mundmitte, der Heber der Oberlippe, der aufwärtsziehende Kinn- und der abwärtsziehende Quadratmuskel in Aktion, so handelt es sich jetzt vor allem um die Mundwinkel: im Schmerz (Großes Leid I, 4; Laokoon Fig. 17) reißen wir, schreiend oder weinend, den Mund auf (was gewisse Halsmuskeln bewirken) und verziehen ihn peinvoll, wobei als Werkzeug der in der seitlichen Oberlippenhälfte, aber doch nicht ganz am Ende angreifende Eckzahnmuskel (M. caninus) fungiert und am Mundwinkel direkt der Dreiecksmuskel (M. triangularis) die Unluststellung schafft. Das Wesentliche ist hiebei die Tätigkeit des Eckzahnmuskels und die schmerzliche Verziehung schräg seitlich aufwärts, eine Einstellung, die wir vom sauren Zug des Mundes her kennen, der sich uns damit als Abkömmling der Schmerzstellung zu erkennen gibt. Bei höheren Graden des Schmer-

zes nimmt übrigens das ganze Gesicht teil. Die Wangen wer-

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