Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Schreien zugleich den von innen her wirkenden Schmerzreiz abführt und dadurch lindert, zählen wir die Schmerzstellung ebenfalls zu den Ausstoßungsstellungen des Mundes. Da die Schmerzeinstellung Zweckhandlung zur Linderung und Ausdruck zugleich ist, erübrigt sich die Frage nach ihrer Bedeutung. In leichten Graden (Dreigroschenoper XI, 4; Liszt IX, 2) und bei physiognomischer Dauerhaltung ist der Mund geschlossen und die Verzerrung ist an der verbreiterten Lippenschweifung, der Nasenlippenfalte und der Spannung im Wangengelände zu erkennen. Bemerkenswert ist jedoch eine übertragene Bedeutung der Schmerz- oder Peinstellung: sie tritt auch ein bei jedem Übermaß von Reiz oder Anstrengung, bei peinlicher Aufmerksamkeit, peinlicher Beobachtung, peinlicher Gewissenhaftigkeit und ist daher ein Abzeichen vieler angestrengt tätiger Menschen (Weber am Webstuhl XV, 5).

DieSprechstellung

Es mag zunächst wundernehmen, die Sprechstellung in einem Atem mit Ausdrucksformen wie Ekel-, Spuck- und Schmerzstellung nennen zu hören, — obwohl manche Menschen beim Sprechen spucken. Allein Sprechen und Schreien in einem Atem geschieht ja tatsächlich, und auf dem Umweg über mancherlei Interjektionen der Lust, aber auch des Abscheus und Schmerzes mögen sich Lautäußerungen des werdenden Menschen, sich ihrer Gefühlsbetonung allmählich entledigend, zu den neutralen Wort- und Satzformen als Träger symbolischer Begriffe aufgeschwungen haben, wie wir es ja täglich auch am lernenden Kleinkind erleben. Jedenfalls vollzieht sich die Bildung aller Vokale und Konsonanten unsrer Kultursprachen (afrikanische Naturvölker bringen bekanntlich manche Sprachlaute auch durch Einziehen der Atemluft hervor) unter Ausstoßungsbewegungen, wenn auch hier kein

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