Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

kürlich ergreifen wir die Partei des Boshaften, Zerstörenden, Unsittlichen. Daher unser Lachen bei boshaften oder obszönen Witzen, ja bei einem Mißgeschick, das uns selbst, freilich noch besser den lieben Nächsten getroffen hat, wenn es nur solcherart ist, daß es längst überwundene seelische Einstellungen in uns mitschwingen zu lassen und gegen unsre jetzigen auszuspielen vermag. Die Überraschung erfüllt so unsre heimlichen, verdrängten Wünsche, sie lähmt also nicht nur unser bewußtes Handeln, sondern handelt auch selbst statt unser, nimmt uns also eine Handlung ab, wie Wunder oder Zauber. Wir finden uns gleichsam wieder auf die Stufe des magischen Denkens zurückversetzt, wo wir nur zu wünschen brauchten, statt zu handeln. Nur dann allerdings, wenn wir uns den Kontrast vor Augen führen, um wieviel bequemer jene Denkhaltung für uns war im Vergleich zu unsrer jetzigen logischen, die damit erkauft ist, daß wir fortgesetzt mühsam uns selber durch unsren bewußten Willen in Schranken halten, nur dann entbindet sich ein Lustmoment bis zum Lachen. Der Wille wird momentan entlastet, — er war es, der den Menschenmund verkleinerte, wir lassen lokker, ziehen den Mund wieder in die Breite und stellen gleichsam den früheren Zustand wieder her in dem wohligen Gefühl: Hier bin ich Tier, hier darf ich’s sein! Von dem Kontrast aber können wir nur dann frappiert sein, wenn wir ein Gefühl dafür haben, daß wir normalerweise Menschen sind, geistige Wesen: so gehört denn das Lachen zu den menschlichen Zügen nicht nur des Mundes, sondern auch der Seele.

3. Damit also wäre erklärt, daß wir den Mund beim Lachen verbreitern. Aber warum ist die Lust an die Aufwärtsrichtung der Mundwinkel gebunden, oder strenggenommen an die Aufwärtsbewegung? Denn im Zustande der Unbekümmertheit und Unentwegtheit können wir instinktiv die Trotz- und Verachtungsstellung annehmen und dabei doch ein frohgemut lächelndes Gesicht zeigen; die Mundwinkel,

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