Illustrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/15., page 422
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Slluſtrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/15.
Ein Eiſenbahnzug mit gefangenen Ruſſen auf der Fahrt durch die Karpathen.
der Sturmangriff ein, der von Truppen aus Weſtungarn, dem Banat und der Bukowina unternommen wurde.
Mit gefälltem Bajonett rannten ſie mitten im Shüßen=-
und Maſchinengewehrfeuer des Feindes gegen die Gräben auf den Höhen von Gologory an, wo die Ruſſen mit dem Todesmut der Verzweiflung den ungeſtümen Anprall der
Söhne der Pußta aufzuhalten ſuhten. Jn den vorderſten
Gräben fam es zu erbittertem Nahkampf, Mann gegen Mann, während die Pioniere die Drahtverhaue dur<ſhnitten und ſo den eingreifenden Reſerven den Weg zu den hinteren Schüßengräben des Feindes bahnten. Hier hatte die öſterreihiſ<he Artillerie bereits ihre Schuldigkeit getan. Mit unheimliher Genauigkeit waren die Geſchoſſe der ſ<weren Geſchütze in Abſtänden von wenigen Schritten in die ruſ=ſiſhen Shüßengräben gefallen, alles vernihtend und ver[hüttend. Obwohl die ruſſiſhen Truppen, die hier lagen, dur<hweg fampferprobte und tapfere Soldaten waren,
ſo vetmochten ſie do<h unter dem mörderiſhen Feuer Die
Stellung niht zu halten. Wer niht tot oder verwundet am Boden lag, der flüchtete beim Anſturm der öſterreihiſ<hungariſhen Infanterie oder ließ ſi< gefangen nehmen. „Gegen einen Feind, der über eine ſo ausgezeihnete und überlegene Artillerie verfügt, werden wir niemals auf=fommen fönnen,“ befannten gefangene ruſſiſhe Offiziere. Die Verluſte der Ruſſen waren allerdings ſehr groß; von den in den Kampf geführten Truppen wurde faſt die Hälfte getötet oder verwundet. Die Ruſſen konnten,
obwohl ſie ſih zu den ſ<hwerſten Opfern entſhloſſen, den
Durchbruch der öſterreihiſ<h-ungariſhen Truppen niht mehr aufhalten. Schon am Abend des 27. Auguſt war Gologory erobert und bereits am nächſten Tage zog das V. Armeekorps in die an der Eiſenbahnlinie Brody—Lemberg liegende Stadt Zloczow ein, die von den fliehenden Ruſſen, die hier große Vorräte aufgeſtapelt hatten, in Brand geſte>t worden war. ) oſtgaliziens, das im Auguſt 1914 zuerſt eine Beute des Feindes geworden war, hatte geſ<lagen, am 2. September erreihte die Armee Böhm-Ermolli die Stadt Brody, Und damit war den öſterreihiſ<h-ungariſhen Heeren der Weg zum wolhyniſhen Feſtungsdreie> ‘geöfſnet. Am 6. Sep=tember bereits ſ<lug die Armee Böhm-Ermolli den Feind bei Podkamien und Radziwilow. Sie griff ihn in ganzer 40 Kilometer breiter und ſtark verſhanzgter Front an und entri ihm in heftigen, bis zum Handgemenge führenden Kämpfen das Schloß Podkamien, die ſto>werkförmig be-
feſtigte Höhe Matutra, ſüdweſtlih von Brody, die Stel=-
lungen bei Radziwilow und zahlreiche andere zäh verteidigte Stüßpunkte. Die Schlacht dauerte an einzelnen Punkten
Die Stunde der Befreiung Nord=
bis in die Morgenſtunden. Der Feind wurde überall geworfen und räumte ſtellenweiſe flu<htartig die Walſtatt.
Der Stacheldraht im Kriege.
(Hierzu die Bilder Seite 359.) Die Verwendung des Drahtes im Kriege wird zum exſtenmal 1870 bei der Einſhließung von |
_ Paris erwähnt. Damals war die Umfaſſungslinie dur< einen mehrere Millimeter ſtarken Eiſen=draht getennzei<hnet, der in der Höhe der deut=ſen Vorpoſtenſtellungen umdiefranzöſiſhe Hauptſtadt geſ<hloſſen herum-=geführt war. Aber dieſer Draht wax nux eine Mar=fiexungslinie und fein
_Verteidigungsmittel.
Mehr ein Symbol des eiſernen deutſ<hen Ringes
- als ein Rriegsmittel. Danah vergeht eine Tange
. : Zeit, und erſt im Buren=friege hören wir vom Stacheldraht und von ſeiner Verwendung zu ſogenannten Stolperdrahtanlagen, und im
. E, Benninghoven, Berlin,
ſpäteren Verlaufe des Krieges au< von ſeiner Benußung
zu vollkommenen Drahtverhauen.
Im Ruſſiſh-Japaniſchen Kriege feierten Stacheldraht und Drahtverhau bereits Triumphe. Die Ruſſen, ſhon da=mals Meiſter im Eingraben, errichteten vor ihren Gräben Verhaue, aus zehn und mehr Pfahlreihen, zwiſchen denen der Stacheldraht in Längen von Tauſenden von Kilometern in unendlihem Kreuz und Quer gezogen Und geſpannt wurde: Die Praxis zeigte auh, daß ſol< Verhau einen vorzüglichen Shuß gewährt. Ein ſhnelles Überſpringen oder Überflettern dieſer Staheldrahtwälder dur< ſtürmende Truppen war ganz ausgeſ<loſſen. Die Truppen hätten ſi<h dabei das Fleiſ<h von den Knochen geriſſen und wären do<h niht herübergekommen. Die Verteidiger behielten unter allen Umſtänden genügend Zeit, die Stürmenden abzuſchießen. So wurde die Entſcheidung im RuſſiſchJapaniſchen Kriege in der Tat ſhließli< dur< Umgehungsmnanöver herbeigeführt, da der Frontangriff für die Japaner vollkommen undur<führbar war.
Sehx wirkſam erwies ſi<h der Stacheldrahtverhau au< bei der Behauptung der Tſchadalſhalinie ſeitens der Türken gegen die ſtürmenden Bulgaren. So darf es niht wunder=- .
nehmen, daß das ſeit fünfzehn Jahren gut bewährte Mittel
au< im Weltkriege ſofort und in ausgiebigſtem Maße Anwendung fand. Der Stacheldraht gehörte bald, ſcherzhaft geſagt, zum täglihen Brot des Soldaten. Haben Die Truppen ſih irgendwo eingegraben, ſo müſſen ſie bei Tage begreifliherweiſe im Schuhe des Grabens bleiben und
ſtändige ſ<härfſte Wachſamkeit iſt gegen Überfälle am Plate.
Sobald aber die Dunkelheit gekommen ij, beginnt Die Drahtarbeit. Zuerſt am weiteſten vorgeſ<oben, nur wenige Zentimeter über dem Erdboden und möglichſt im Graſe verborgen, der ſogenannte Stolperdraht. Er ſoll ſtürmende Gegner zum Stolpern und Hinſtürzen bringen, daher ſein Name. Zwiſchen ihm und dem eigenen Graben folgt nun exſt der Bau des Drahtverhaues, das Eingraben der etwa mannshohen Pfähle und ihre Beſpannung mit dem Stacheldraht. Schäßungsweiſe kann man annehmen, daß
der Draht zwiſchen einer vierfachen Pfahlreihe etwa die
fünfzig- bis hundertfahe Länge der zu ſhüßenden Front hat. Um alſo einen Strih von einem Kilometer zu de>en, dürften 50—100 Kilometer Draht gebraucht werden, bei \<weren Vérhauen kann der Bedarf aber auh auf das Fünf- bis Zehnfache ſteigen. Das heißt alſo, daß Stachel-
‘draht ein Artikel iſt, der im Felde îm großen verbraucht
wird, den man beſſer niht nah Metern, ſondern na<h Meilen