Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

der Sultan nur noh einige Fahre lebt, in erhöhtem Maße ſpielen.

Dieſer Thatſache entſpriht es nun auch, daß Prinz Juſſuf Jzzedin in einem Miniſterrathe, der kürzlich unter dem Vorſiße des Sultans ſtattfand und der Rebellion in der Herzegowina galt, ſih plöulih erhob und eine Art Separat-Votum abgab. Der Prinz trat als ganz energiſcher Gegner dex in dieſer Angelegenheit befolgten Politik auf. Er verwarf die militäriſhe Bewältigung des Aufſtandes, welchen er nur als die Folge einer zerrütteten und gewaltthätigen Local-Adminiſtration anzuerkennen vermöge; befürwortete die Entſendung neuer gewiſſenhafter und loyaler Männer, anſtatt des militäriſchen Aufgebotes, und rieth den Miniſtern, ſie mögen die gere<hten Forderungen der Aufſtändiſchen erfüllen und dem Blutvergießen Einhalt thun.

Neben dieſen Rathſchlägen brachte er no< eine ſolhe Fülle von Einzelheiten über die Uxſachen zur Sprache, welche die Erhebung in den aufſtändiſchen Provinzen herausgefordert, daß die Miniſter ſelbſt niht wußten, ob ſie mehr über das fategoriſhe Auftreten des ſiebzehnjährigen jungen Mannes, odex über die Juformationen

102

ſtaunen ſollten, die ihm für dieſe geheimen und menſchenfreundlihen Enthüllungen zu Gebote ſtanden. Das Erſtaunen machte alshald einer ſtark um ih greifenden Neugierde Plaß, welches wohl die Quelle ſein möge, aus welher Jzzedin ſeine vernihtenden Anklagen geſ{<höpft habe; man vermuthet wohl, wo ſi<h der Sohn des Sultans ſeine Belehrung geholt, man hütet ſi<h aber, Namen zu nennen. Genug, der Eindru> der Strafpredigt Jzzedin's im Miniſterrathe war auf die meiſten Räthe des Sultans ein geradezu beſtürzender.

Dex Sultan ſelbſt blieb till und nachdenkſich. Erſt na<h einigen Minuten eröffnete der Großherr ſeinen Miniſtern, er wolle das Gehörte überlegen und ſpäter ſeine Entſchlüſſe bekannt geben. Allerdings hat der Sultan ſeither, und dies im Einklange mit ſeinen Miniſtern, die etwas allzu kindlih-humane Auffaſſung ſeines Sohnes, wie dem Aufſtande am beſten beizukommen ſei, niht ſo ganz genehmigt und angenommen aber au< die Folge that nihts, was dieſer Senſationsnachriht auh nur den Schein von Wahrheit verliehen hätte, und Ju ſſuf Jzzedin, von dem man bisher nichts gehört, blieb na<h wie vor im Schatten. R

Serbiſche Actionsſuſt und Va Reſorm-Vrogramme.

Jn Belgrad ſchien man doh niht ſo ganz feſt entſchloſſen, Frieden zu halten, als man die Welt glauben machen wollte. Es verlautete, daß man ſich unter der Hand in Bukareſt erkundigt habe, ob man im Kriegsfalle auf die Unterſtüßung Rumäniens werde re<hnen können. Die Antwort fiel niht befriedigend aus; Fürſt Karl gab in ziemlih unzweideutiger Weiſe zu verſtehen, daß er niht daran denke, in dieſem Falle ſeine Haut zu Markte zu tragen. Er ſei wohl geſonnen, ein Beobachtungs-Corps aufzuſtellen, um auf dieſe Art die Türken zu zwingen, ihre Kräfte zu zerſplittern, aber von einer Theilnahme am Kampfe wolle er vorläufig niht s wiſſen.

Damit war Serbiens Actionsluſt lahm gelegt und die Führer der Aufſtändiſchen mußten fih mit dem Gedanken vollſtändig vertraut machen, daß ein unmittelbares Einſchreiten Serbiens und Montenegros zu Gunſten der JFuſurrection kaum mehr zu hoffen ſei.

Die Enttäuſhung der Fnſurgenten in dieſer Beziehung war eine ungemein empfindliche, umſomehr, als die Verſprehungen und Verheißungen von Cettinje und die Vertröſtungen auf eine nahe Zukunft von Belgrad auh bis zur Stunde

no< niht aufgehört hatten, in den verſchiedenen Jnſurgentenlagern ihre Rolle zu ſpielen. Vielleiht hätte dieſelbe hon in irgend einer Kund-

gebung Ausdru>k gefunden, wenn nicht die lebten Erfolge in den Führern der Fnſurgenten den Glauben erwe>t hätten, daß die Fnſurrection, wennglei<h auf ſfi<h allein angewieſen, doh im Stande ſei, bis über den Winter hinaus der türkiſhen Macht die Stirne zu bieten. Von dieſem Geſichtspunkte aus behielt die Selbſtbeherrſhung und Kaltblütigkeit die Oberhand über die ſonſt in hellen Flammen zum Ausbruche gelangende Erbitterung wegen der von Cettinje und Belgrad bisher erfahrenen Täuſhung. Die Fnſurgenten wollten weder die Waffen niederlegen, noh auh es mit Serbien und Montenegro deshalb verderben. Sie brauchten nah wie vor von Letzterem Waffen, Munition, Lebensmittel und, was die Hauptſache war, Zuzüge. So meinten ſie den Aufſtand überwintern und bis zum Frühjahre hinausſhleppen zu können, wo dann ſ{<hließli< nah ihrer Ueberzeugung weder Europa, noh Serbien und Montenegro den Dingen noch länger

denſelben freien Lauf, wie bisher, laſſen könnten.

Die Folge lehrte es, daß dieſe Berehunung feine ganz irrige geweſen iſt.