Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

ſtets mit der ſtärkſten omladiniſchen Beize verſetzt waren, wußten niht genug von dem unwiderſtehlichen Drange zu erzählen, der das ganze ſerbiſche Bolk ‘in Waffen an und über die Grenze fortreiße. Fürſt Milan hatte nun der Skupſchtina nicht verkündigt, daß er der Pforte den Krieg erklären "und ſofort ſi< an die Spitze des Heeres ſtellen werde — im Gegentheil. Wenn nun aber dieſe Eröffnungen mit Begeiſterung aufgenommen wur‘den, ſo mußte die Skupſchtina entweder den unumſtößlihen Nachweis erhalten haben, daß Ruhehalten die einzige Bedingung für den Fortbeſtand des zur Großmachtſtellung ſi<h vorbereitenden Serbiens iſt, und für dieſen Nachweis in plößlicher Dankbarkeit gegen den rettenden Milan aufgeflammt ſein, oder es mußte dieſem gelungen ſein, Niſtics und ſeine Collegen um jede Sympathie zu bringen.

Jn jedem Falle war von dem Miniſterwechſel in Belgrad ein der Beilegung des Auſfſtandes, wie der Erhaltung der europäiſchen Ruhe förderlicher Einfluß zu erwarten, vorausgeſeßt, daß er ein conſervatives Cabinet an’s Ruder brachte, welches niht allein Serbien, ſondern auh indirect das dem Voranſchreiten Serbiens ſich unterordnende Montenegro im Zaume hielte.

Bon eben ſolher Bedeutung war wohl auh der Rücktritt des türkiſchen Kriegsminiſters Hu ſtſein Avni Paſcha. Dieſer, untex allen türkiſchen Staatsmännern und Militärs unzweifelhaft der eigenſinnigſte und ſchneidigſte, konnte ſich ſeit ſeinem Rücktritte vom Großvezierate ganz und gar nicht daran gewöhnen, in der hohen Politik niht mehr der allein tonangebende Herr der Situation zu ſein.

Zur Zeit, als Eſſad Paſcha Großvezier war, mochte ex in Wirklichkeit es gar nicht fühlen, daß er die erſte Stellung im Türkiſchen Reiche nah dem Sultan mit einem politiſ<h weniger bedeutſamen Portefeuille vertauſcht habe. Eſſad Paſcha war nur nominell Großvezier, während ſein Borgänger Huſſein Avni es in der That blieb. Gerade aber der über ſeine Stellung hinausreichende Einfluß Huſſein Avni’s untergrub die Poſition Eſſad's und führte ſhließli< zum Sturze dieſes Leßteren und zu ſeiner Ablöſung im Greoßvezierate dur< Mahmud Paſcha. Dieſer, was Energie und Starrheit der Principien anbelangt, vielfa<h Huſſein Avni ähnelnd, war von allem Anfang niht der Mann, um ein langes Zuſammenwirken mit Leßterem erwarten zu laſſen. Alles erkannte den Augenbli> für unausbſleiblih an, in welchem es zwiſchen dieſen beiden ehrgeizigen Hartköpfen zum Bruche kommen müſſe. Die Kriſe trat raſcher ein, als vermuthet wurde, und den Anſtoß zu derſelben gaben die Wirren in den ſlaviſ<hen Provinzen und die durch ſie herbeigeführte Poſition der Pforte zu den Großmäcten. 110

Huſſein Avni Paſcha, welcher als Kriegsminiſter in militäriſher Beziehung wohl Vieles auf dem Fuſurrections-Schauplate nachgeholt hatte, was, wenu früher verfügt, die Verlegenheiten dex Pforte kaum zu \#o umfangreichen Verhältniſſen hätte anwachſen laſſen, wollte ni<hts von Conceſſionen, ni<hts von Reformen, nichts von den RNathſchlägen der Großmächte, ni<ts von der Action der Conſuln wif ſen. Er wollte nux Ein Programm verfolgt ſehen, das der rü>ſi<tsloſ eſten militäriſchen Repreſſion (Abwehr), ſelbſt auf die Gefahr hin, das Verhältniß der Pforte zu dem ganzen Abendlande zu trüben. Für dieſe Politik trat er nun entſchiedener und anſpruchsvoller ein, als ihm nah ſeiner Stellung zukam. Der, wenngleich energiſche aber ſtaatskflügere Mahmud Paſcha wies jedoch die gefährlichen, politiſ<hen Anmaßungen Huſſein Avni’s mit aller Macht zurück.

Troßdem war Mahmud Paſcha nicht weniger eiferſüchtig auf. das UnabhängigkeitsBlendwerk des Türkiſchen Reiches, als ſein Rivale. So mancher politiſche Zug gerade aus der lebten Zeit docuinentirte dieſe Eiferſucht in greller, ja vielleicht in allzu übertriebener und daher in Bezug auf die möglihen Endconſequenzen für die Pforte nicht allzu vortheilhafter Weiſe. Fmmerhin hatte er aber die No thwendigkeit begriffen, die Wiederherſtellung normaler Verhältniſſe dort, wo ſie geſtört waren, durh noh etwas Anderes, als das bloße Schwert, anzuſtreben. Der fkaiſerlihe Pacifications- und Reform-Jrade (Friedensſtiftungs- und Umbildungs-Verordnung) war ſein eigeunſtes Werk, mit welchem er ſi< Huſſein Avni's entledigt hatte, aber auh der Würde der Pforte den größten Dienſt erwieſen zu haben glaubte.

Der Sultan erließ ein neues Reformprogramm, deſſen Annahme von Petersburg aus den Fnſurgenten empfohlen wurde, indem die in ſelbem zugeſagten Reformen ernſter und ergiebiger als die früheren ſeien. Uebrigens werde ſi< Europa den Pflichten niht entziehen, welche die Futereſſen der Menſchlichkeit und der eigenen Sicherheit auferlegten.

Troß dieſer ruſſiſchen Anempfehlung ſchien aber das türfiſ<he Programm ſich nicht des allgemeinen Beifalls zu erfreuen und man lenkte von Wien aus die Aufmerkſamkeit der Pforte darauf, daß in einzelnen Richtungen eine Ergänzung oder Erweiterung ihrer Reformzuſagen wünſchen8werth wäre.

Borläufig fiel auf dem Kriegsſchauplatze wenig Bedeutendes vor. Fn den erſten Tagen des October wurden einige kleinere Abtheilungen von Jnſurgenten unter dem Commando des Zombota bei Nota von den Türken angegriffen und ſehr in die Enge getrieben; erſt ein Succurs von 500 Banjaner-Jnſurgenten befreite ſie aus ihrer ver-