Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, page 262

fih da zwei Elemente von ganz avweichender Beſchaffenheit, zwei ganz entgegengeſeßte Charaktere mit entgegengeſeßten Anſchauungen verbunden hatten und daß ein ſolches Bündniß keine Dauer haben fönne.

Eine europäiſche Bildung hatte Huſſein Av ni Paſcha niht. Neben feinen militäriſchen Fähigkeiten rühmte inan ihm nur noh eine gewiſſe diplomatiſche Gewandtheit und et orientaliſhe Schlauheit nah. So wurde erzählt, daß er der franzöſiſhen Sprache mächtig war, jedoch bei jeder Gelegenheit verſicherte er, er verſtehe fein Wort franzöſiſch; es läßt ſich leicht denken, welchen Zwe> er damit verknüpfte; man ſollte in ſeiner Geſellſchaft ſi< dieſer Sprache bedienen, in der Vorausſetzung, daß er nichts davon verſtehe, wodur<h er Manches erfahren konnte, was man ihm ſonſt nicht mitgetheilt hätte.

Jun ſeiner äußeren Erſcheinung war Huſſein Avni klein und zierlih. Der feine Kopf mit dem blaſſen, etwas kränklichen Geſicht und den lebhaften Augen, flößte unwillkürli<h Fedem Fntereſſe ein. Ueberaus freundli<h in ſeinem Weſen, fonnte Huſſein Avni doh ſehr beſtimmt ſein. Seine Sprache verrieth den an das Befehlen gewöhnten Militär, der keinen Widerſpruch duldet. Als er im Frühling des Vorjahres das Großvezierat verließ und anſtatt nah Bruſſa zu gehen, eine Reiſe na< dem Weſten Eurpas unternahm, erregte er in den officiellen Kreiſen Londons und Paris durch ſeine Offenheit und den ungewöhnlihen Scharfſinn niht geringes Aufſehen. Sein ſehulicher Wunſch, damals auh Deutſchland zu beſuchen, für deſſen Militär-Juſtitutionen er ſ<hwärmte, blieb unerfüllt, da ihn der Sultan bei dem Umſichgreifen des Auſſtandes in der Herzegowina nah Conſtantinopel zurücberief.

Einen charakteriſtiſhen Zug der Energie des ermordeten Kriegsminiſters erzählte man ſi<h na< der Entthronung des Sultans Abdul Aziz. Als nämli<h Huſſein am 30. Mai, um drei Uhr Morgens, in die Wohnung Murad des Fünften trat, ſtieß er auf die Mutter des jungen Prinzen, die in ein heftiges Weinen ausbrac, da ſie nicht wußte, um was es ſi<h handle, und ihn um Gotteswillen bat, ihrem Sohne nichts zu Leide zu thun. Da zog Huſſein einen geladenen Revolver aus der Taſche und übergab ihn Murad nebſt einem Säbel mit den Worten: „Wenn es Femand verſuchen wollte, Fhnen etwas zu Leide zu thun, ſo ſchießen Sie auf mich, ehe Sie ſi vertheidigen, und tödten Sie mich!“

Raſchid Paſcha war dagegen ein Staat3mann, wie er ſelten im Türkiſchen Reiche vorfömmt. Ex war in Wien wohlbekannt und fungirte daſelbſt no< bis zum Herbſte des Jahres 1875 als Botſchafter. Er befand ſi< au< im Fahre 1867 im Gefolge des Sultans Abdul Aziz - während der Weltausſtellung in Paris, Er reiſte

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aus politiſchen Gründen unter dem Namen El müd. Er zeigte große Vorliebe für fränkiſhe Sitten, war au<h ein großer Freund der Muſen und {önen Künſte; ſo brachte ex ſeine Abende im Opernhauſe zu und trug daſelbſt franzöſiſche Kleidung, wozu ihn beſonders ſeine Vorliebe für eine der Theater-Koryphäen bewog, die er einige Fahre früher in Egypten kennen gelernt hatte. Eines Abends machte ſih ein ernſthafter Nebenbuhler neben ihm breit. Die an Unverſchämtheit grenzende Art, mit welcher dieſer die Tänzerin lorgnettirte, erregte den Aerger Raſ<hid's, der, in der Meinung, noh in Conſtantinopel zu ſein, einen Stadtwächter erſuchte, ſeinen Concurrenten auf der Stelle aus ſeinem Fauteuil fortzuſchaffen. Der Soldat hielt ihn anfangs für einen Narren und lächelte. Unſer Miniſter wandte fi<h nun in ſeinem Zorn an Herrn Perrin, den Theaterdirector, der ihm jedo< mit aller erdenklichen Höflichkeit erklärte, daß ſi< die Sitten Europas durchaus einer ſolchen Willkürmaßregel entgegenſezten. Von dieſem Abende an wurde Raſchid Paſcha nie wieder im Theater geſehen.

Raſchid pflegte auh die Werke der arabihen, türkiſchen und perſiſchen Dichter mit einem beſonderen Fleiße zu ſtudiren, Dann und wann beſtieg er auch ſelbſt das geflügelte Dichterroß und ſchrieb ein arabiſches Ghaſel (lyriſhes Gedicht in zweizeiligen Strophen) dann wieder ein türkiſches Madrigal (Schäfergedicht) und ein anderes Mal eine perſiſche Satyre. Freitag den 16. April 1875 wohnte er auh einer Prüfung in der Wiener Orientaliſhen Akademie bei und dictirte dabei einem Zögling dieſer Anſtalt ein Gedichthen in türkiſcher Sprache, deſſen Ueberſezung in deutſcher Sprache folgendermaßen lautete:

„Schmücket denn mit friſchen Blüthen ſih der Geiſt Jahr um Jahr? — Nehm’ ih doch zu jeder Stunde neue ſhön’re Früchte wahr! — Heil Dir, die unendli<h wächſt no<; Heil Dir, junge Geiſteshaar! — Blüh! und wachſe fort in Oſtens hoher Schule Jahr um Jahr! — Und dem Lenker und den Pflegern dankbereit ſei immerdar! Aber wird im Jugendſtreben hier niht höh'rer Wille klar? — Hoch der Kaiſer, der der Geiſter Streben ma<ht von Schranken bar, — Leb? er lange, Leben fördernd, Leben erntend Fahr um Fa A CEA

Raſchid Paſcha war nur einige Stunden des Tages Diplomat und Botſchafter des Türkiſchen Reiches, daun holte er ſi< wieder Labſal an der perſiſchen, arabiſchen und türkiſchen Dichterquelle und an der Geſchichte. Mit ihm verlor das Vaterland niht nur einen treu hingebenden Sohn, fondern auh einen tüchtigen Staatsmann und einen vorzüglichen Gelehrten. .

Raſchid Paſcha, geboren im Fahre 1830, war ein Macedonier. Er entſtammte der vornehmen Familie Hadji Nazyr Aga, deren Häupter