Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

BYorworf.

Die orientaliſhe Frage war von jeher jenes abenteuerlihe Geſpenſt, deſſen Nennung ſhon genügte, um ganz Europa mit Unruhe und faſt unglaubli<hem Bangen zu erfüllen. Es war daher auh damals die höchſte Aufgabe aller zünftigen und unzünuftigen Diplomaten, durch allerlei politiſches Blendwerk und verſchiedene Zauberſprüchlein die fur<tbare Erſcheinung zu bannen. Durch den Pariſer Vertrag vom Jahre 1856 glaubten die Herren die unheimlihe Spukgeſtalt für lange Zeit, vielleicht für immer verſheu<t zu haben.

Daher ahnte Niemand Arges, als im Sommer des Jahres 1875 etliche zerſtreute Kämpfe in den romantiſhen Schluchten und Thälern* Bosniens und der Herzegowina zwiſchen einzelnen aus Chriſten beſtehenden Banden und ihren türkiſhen Unterdrückern ſtattgefunden hatten. Niemand ahnte, daß die kühnen Führer jener unanſehnlihen Fnſurgenten-Banden bereits Acteure eines Borſpieles waren, wel<es einer blutigen Tragödie voranging; Niemand ahnte die geheimnißvollen Fäden, welche die Balkan-Fnſel bereits kreuz und quer dur<zogen, die türkiſ<hen Provinzen wie mit einem Neb zu überſpannen ſchienen und deſſen End- und Ausgangspunkte in Petersburg in eine Hand zuſammenliefen ; Niemand ahnte endlich, daß ſi< aus jenen kleinen Wölkchen, welche ſi< in den fernen Bergen Bosniens zuſammengezogen hatten, ein ſo furchtbares, Alles vernichtendes Sturmwetter bilden würde.

Und doh! Jn den Schwarzen Bergen begann es allenthalben zu wetterleu<hten und der Konak des Fürſten Nikolaus von Montenegro war der Sammelplay geheimnißvoller Sendboten, wel<he kamen und gingen; und ſonderbarer Weiſe ſah man am Hofe des Fürſten Milan in Belgrad dieſelben Herren mit geheimen Botſchaften ab- und zureiſen.

Aber während dieſe Herren ungeſtört ihr geheimnißvolles Weſen treiben konnten, wirkten, verderblicher als die grimmigſten Feinde der Türken, in Conſtantinopel die Creaturen des Serails, die Vünſtlinge und Schmeichler des Sultans Abdul Aziz. Das in ſeinen Fundamenten untergrabene Reich der Osmanen krachte bereits in ſeinen innerſten Fugen! Die verlotterte Paſchawirthſchaft in Stambul und die ſtets ſi< erneuernden Aufſtände in Bosnien und der Herzegowina waren endli< die Urſache, daß ‘ ganz Europa ſi< entſchloß, zu Gunſten der <riſtlihen Provinzen Scritte zu thun, und von der Türkei Reformen verlangte. Die Mächte ſchi>ten ihre Conſuln, um eine Unterſuhung an den Stätten der Unruhen anzuſtellen. Unterdeſſen war jedo< der Bund der „drei Kaiſer“ geſchloſſen worden, welcher, ganz und gar unerwartet, der Welt das Memorandum von Berlin verkündete.

Die „orientaliſche Frage“ war in Fluß gerathen. Das Drei-Kaiſer-Bündniß gab alsbald Zeihen ſeiner Macht. England, vorſichtig wie immer und vielleiht eine Schlinge für das Gedeihen ſeiner ſtets ſo ſorgſam gehüteten Jntereſſen befürchtend, ſchi>te gleih eine Flotte in die Bai | von Beſika; Frankrei<h und Ftalien, da ſie niht eingeladen waren, an der Unterfertigung des Berliner Memorandums theilzunehmen, blieben aus dieſen Gründen unbetheiligte Zuſchauer. Die Türkei, die nun ſah, wie die engliſhe Flotte und das uneinige Europa ſi< um ihre Marken herum gruppirte,