Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, page 690
verhält fi< zu ſeinem Todfeinde, dem Kurden, ungefähr ſo, wie der friedliche, anſäſſige Bulgare zum raubluſtigen Tſcherkeſſen, mit dem Unterſchiede jedo<h, daß in Rumelien die Feindſchaft neu und den Grauſamkeiten dur< die Nähe des Abendlandes einige Schranken geſeßt ſind. Jn Kurdiſtan hingegen iſt der Kampf zwiſchen Kurden und Armenier ein Jahrhundert älter, und ſeit der türfiſhen Unterjohung dieſes chriſtlichen Landes waren die Unbilden, wel<he den Armeniern von den Kurden zugefügt wurden, {on deshalb faſt unerträglih, weil der unterjocte Chriſt, d. h. Neſtorianer, Chaldäer oder Armenier, dem bewaffneten und kriegeriſ<hen Kurden gegenüber ſih nie re<t vertheidigen konnte. Und dennoch konnte Rußland, troß der aus der gemeinſamen Religion ſtammenden Sympathien, das armeniſche Volkselement in dem Augenbli>e für ſeine Zwe>e no< niht verwerthen. Jn dem Kloſter zu Uetſch-Kiliſſe, an den Ufern des Euphrat, ſagte ein Wartabet (Geiſtlicher) vor fünfzehn Jahren: „J<h war in Etſchmiadzin (bekanntermaßen das armeniſhe Rom, im ruſſiſchen Transfaukaſien gelegen), muß aber geſtehen, daß die Ruſſen mir viel fremder und viel weniger ſympathiſ<h vorkamen als die Türken, die nur die Religion von uns trennt, während ihre Weltanſhauung, ihre Sitten und Gewohnheiten mit den unſerigen ganz übereinſtimmen.“ Und ſo iſt es denn au in der That, und der Kenner Aſiens wird die Anſicht, daß eine ruſſiſhe OccupationsArmee von dem emſigen und friedlihen Volke der Armenier keinen Vorſhub erhalten kann, theilen müſſen. Es war daher vorauszuſehen, daß die Vorgänge auf dem aſiatiſchen Kriegsſhauplaße einen aſiatiſchen, d. h. ſ<leppenden und langwierigen Gang haben mußten.
An demſelben Tage, an welchem die in Beßarabien concentrirte ruſſiſhe Armee den Befehl zur Grenzüberſchreitung erhielt, ging dieſelbe Weiſung auh der Kaukaſus-Armee zu. Die Ueberſchreitung erfolgte hier an nicht weniger als vier Punkten gleichzeitig, d. h. vier verſchiedene Colonnen waren es, welhe gegen TürkiſArmenien die Offenſive ergriffen. Jede der aufbre<henden Colonnen ftüßte ſi< bei ihrem Marſche auf eine ruſſiſ<he Grenzfeſtung, was nah dem Urtheile militäriſher Fahmänner ein weſentlih tactiſher Vortheil war. Beginnen wir im äußerſten Weſten, knapp dort, wo die ruſſiſcharmeniſche Grenze beim Fort St. Nikolai gegen das Schwarze Meer abfällt. erſté Colonne in Bewegung. Die Truppen, aus welchen ſie zuſammengeſeßt war, hatten ſi zwiſchen dem bekannten Hafenplaße Ponti und der Feſtung Kutais concentrirt, beide Punkte, welche an der von Tiflis zum Schwarzen Meere führenden Eiſenbahn liegen. Ponti, ein befeſtigter Hafenplaß von niht geringer Bedeutung, bildet
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den Endpunkt der Bahn. Das Marſchobject dieſer Colonne war der türkiſhe Hafenplag Bat um am S<hwarzen Meere. Batum, vielleicht ſogar Tra pezunt, in ruſſiſchen Beſiß zu bringen, das war von allem Anfange an der Lieblingsgedanke des ruſſiſhen Ober-Commandanten.
Die zweite Colonne hatte ſi ‘ein Stück weiter öſtlih in Bewegung geſeßt. Sie marſchirte von Achalzik aus, einer Feſtung, die nur eine Stunde von der armeniſchen Grenze entfernt, in einem wilden Gebirgsthale und nur wenig abſeits vom Fluße Kura liegt. Dieſes Flußthal marſchirte die Colonne aufwärts, um ſo na< Ardaghan zu gelangen, dem erſten befeſtigten Truppen-Concentrirungspunkte auf türkiſhem Boden. Ardaghan liegt im Thale des Kuraſfluſſes ſelbſt, in der Lauflinie niht ſehr entfernt vom Quellengebiete dieſes Gewäſſers. Jn Ardaghan ſollte die Colonne nict ſtehen bleiben, ſondern je na< Umſtänden entweder gegen Batum marſchiren und ſo der zuerſt erwähnten Colonne Unterſtüzung bringen, oder ſich nah dem ſüdöſtli< gelegenen Kars wenden, um die dritte Colonne, von der wir ſofort ſprehen werden, in“ ihren Operationen zu unterſtüßen. Das von Aqhalzik ausmarſqirte Corps hatte nämlich nur die Aufgaben einer Hifscolonne zwiſchen zwei Haupt-Operationscorps zu erfüllen und ſi< im gegebenen Augenbli>e jenem Hauptcorps anzuſchließen, welches ſeiner Unterſtüzung dringend bedürfen ſollte.
Die dritte Colonne war diejenige, welche von der ruſſiſ<hen Grenzfeſtung Alexandropo ll (die Türken nennen ſie mit dem alten Namen Gumri) aus, gegen Kars aufgebrochen iſt. Dieſer Colonne fiel die wichtigſte Aufgabe zu; ſie hatte nämli< zunächſt die eben genannte türkiſche Feſtung, deren Widerſtandsfähigkeit keine geringe iſt, zu Falle zu bringen, dann aber, höchſtwahrſcheinlih verbunden mit der zweiten Colonne, auf die Hauptſtadt von Türkiſh-Armenien, auf Erzerum, loszumarſciren, ſi< dieſes Plates zu bemächtigen und ſo den Feldzug wenigſtens in ſeinem erſten Abſchnitte zur Entſcheidung zu bringen. Erzerum war in allen ruſſiſh-türkiſchen Feldzügen auf aſiatiſhem Boden der Zielpunkt der ruſſiſhen Beſtrebungen geweſen und die Stadt mußte das der Natur der Dinge nah auch diesmal ſein.
Die vierte Colonne war um dieſe Zeit noh niht ausmarſchirt. Die Colonne ſtüßte ſi bei ihren Operationen auf die Feſtung Eriwan, welhe im Weſten des Goktſcha- oder SewangaSees, d. h. dort liegt, wo beim großen und beim kleinen Ararat die türkiſche, die ruſſiſche und perſiſhe Grenze zuſammentreffen. Das Operationsobject dieſer vierten Colonne war die türkiſche Feſtung Bajazid. Um nach dieſer Feſtung zu gelangen, hätten jedo< die ruſſiſchen
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