Zwölf Tage auf Montenegro : Heft 1. Reisebericht
100
Der Ort, auf dem ih mi befand, war der ſüdlichſte auf meinem Wege dur< Montenegro, und vielleicht der ſüdlichſt entfernte von meiner Heimath, den ih je betreten würde. Jch ſchnitt deshalb die erſten Buchſtaben meines Vor- und Zunamens in die Feldmarke ein, wünſchte aber auh ein bleibendes Andenken von hier mitzunehmen, nah welchem ih mich lange umſah. Da bringt mir Spiro, der hie und da ein Pflänzchen aufgenommen hatte, auch ſeine Beute, um ſie der größeren beizufügen, und mit ihr eine hübſche Grasnelfe (Armeria alliacea Cav.) für mich die wohlbekannteſte Freundin der Pflanzenwelt. *) F< eilte den Standpunkt aufzuſuchen, wo Spiro die Blume
. gefunden hatte, und im Augenblicke befand ih mich mitten in einem Armerien Felde, in welchem ih na< Herzensluſt mähte und méhen ließ. Solch? ein Andenken hatte ih nicht vermuthet, und es war allein hinreichend, mich die Beſchwerlichkeiten beim Hinaufſteigen und Hinabſteigen des Berges vergeſſen zu“ machen.
Um nicht ganz denſelben Weg, den wir früher eingeſchlagen hatten, wieder zu verfolgen, gingen wir etwas ſüdlicher, tiefer in den Wald hinein, wo im dunkeln Schatten einige bisher noch nicht gefundene Pflänzchen mich überraſchten. Von einer hübſchen Liſtere (Listera ovata), von der ich Anfangs nur ein Exemplar fand, ſpürten mir die gewißigen Montenegriner, nachdem ich eine geringe Belohnung ausgeſebt hatte, bald eine grö ßere Menge auf. Sonderbar nahm és ſih aus, wenn der rauhe, bärtige Krieger mit derſelben Hand, die das tóôdtliche Gewehr hielt, die zarten Kinder Floras umfaßte.
Unterdeſſen waren wir immer tiefer in den Wald vorſchreitend, ſo weit gekommen, daß wir das Lager unſeres Capitains ſhon hinter uns zurü>ließen, und wir daten daher ernſtlih an unſere Rü>kehr. Auf derſelben benußten wir noch die gute Gelegenheit uns an einer fühlen Quelle ſatt zu trinken, welche aus dem Erdreiche in eine Baumrinde geleitet worden. Meine Montenegriner füllten auch mittelſt eines, als Leitungsrohr ſehr ge\chi>t gehandhabten grünen Blattes etwas Waſſer in unſere Ge-
%) Ueber die Gattung Armeria, aus der Familie der Plumhagineen {rieb ih meine Tnaugural Dissertation.