Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Sperlingsvögel: Allgemeines. 39

Streng genommen hat man die Mitglieder unſerer Sippſchaft als Raubvögel zu betraten, ſo wenig dies auch der geläufigen Bedeutung des Wortes entſprehen mag. Die große Mehrzahl nährt ſi, wenn nicht ausſ{<ließlih, ſo doh vorwaltend, von anderen Tieren, von Kerfen, Weichtieren und Gewürm aller Art, und die größten Mitglieder der Sippſchaft zählen thatſählih zu den tüchtigſten Räubern, da ſie ihre Jagd keineswegs auf Kleingetier beſhränken, ſondern mit Falken und Eulen wetteifern und bei ihrer Jagd Kraft und Gewandtheit mit Mut und Liſt vereinigen. Faſt alle aber, welche vorwiegend von anderen Tieren ſi ernähren, verzehren nebenbei auh Früchte, Beeren und Körner, und diejenigen, welche leßtere freſſen, jagen faſt ausnahmslos zeitweilig Kerbtieren nah. So bezeihnet man ſie vielleiht am ritigſten als Allesfreſſer, wenn auh die wenigſten dies in ſo unbeſhränkter Weiſe ſein mögen, wie einzelne, denen alles Genießbare recht zu ſein ſcheint, und wel<he um die Mittel zum Erwerbe nie verlegen ſind.

Ze nachdem der Hauptteil der Nahrung aus tieriſchen oder aus pflanzlichen Stoffen beſteht, iſt der Sperlingsvogel gezwungen, ſein heimatliches Gebiet zu verlaſſen, wenn der Winter ihm den Tiſch verde>t, oder aber befähigt, jahraus jahrein weſentlich dieſelbe Ortlichkeit zu bewohnen. Alle in warmen Ländern lebenden Sperlingsvögel ziehen niht, ſondern ſtreichen höchſtens von einem Gebiete zum anderen, wie einzelne unſerer nordiſchen Arten auch zu thun pflegen. Bei uns zu Lande entvölkert der Herbſt Wald und Flur; denn verhältnismäßig wenige von den in unſerem Vaterlande heimiſhen Arten der Ordnung find befähigt, hier den Winter zu beſtehen, und nicht bloß die meiſten Kerbtierräuber, ſondern auch viele Körnerfreſſer wandern nah Süden, ja ſelbſt ein Teil der Allesfreſſer gehort derſelben zwingenden Notwendigkeit.

Der Frühling, möge er nun Lenz oder Regenzeit heißen, iſt die Zeit der Liebe für die Mehrzahl der Sperlingsvögel; gerade unter ihnen gibt es jedoch einige Arten, welche ſi wenig um das neu erwachende Leben in der Natur kümmern und hinſichtlich des Brutgeſchäftes an feine beſtimmte Zeit des Jahres binden, vielmehr ebenſo dem eiſigen Winter des Nordens wie der drückenden Sommerhitze der Wendekreisländer troßen. Die große Menge hingegen hält treulih feſt an dem Wechſel des Jahres und erkennt im Lenze deſſen ſchönſte Zeit. Bis dahin haben ſi alle größeren Geſellſchaften, welche der Herbſt vereinigte, gelöſt, und die geſelligen Tugenden ſind einer Leidenſchaftlichkeit gewichen, wie ſie bei wenigen anderen Vögeln ſtärker auftritt. Der Schnabel iſt jezt nicht bloß dem Fubelliede der Liebe geöffnet, ſondern auh zum Kampfe der Eiferſucht geweßt. Faſt möchte man glauben, daß der Sperlingsvogel ſein Tagewerk nur in Singen und Kämpfen einteilt. Er bethätigt die lebhafteſte Erregung in allen Handlungen, nimmt mit Haſt die notwendige Nahrung zu ſi, ſingt und jubelt, übt allerlei Flugſpiele, welche er ſonſt niemals aufführt, und gibt ſih mit vollem Feuer, meiſt vielmal des Tages, ehelichen Zärtlichkeiten hin. Diejenigen, welche zu den Einſiedlern zählen, verfolgen ihresgleichen jezt mit mehr Fngrimm als je; diejenigen, welche ihren Verband nicht löſen, bilden Siedelungen, und wenn es anfänglih in ihnen auh niht immer friedlih hergeht, man<hmal vielmehr Streit um Niſtſtätte und Niſtſtoſfe die Gemüter erhißt, endet doh der Kampf, und der Friede tritt ein, wenn der Play wirklih in Beſiß genommen und der Bau vollendet oder mit Eiern belegt wurde. Das Neſt iſt ſo verſchieden wie der Sperlingsvogel ſelbſt, an dieſer Stelle iſt daher nur zu ſagen, daß die größten Baumeiſter in dieſer Beziehung, wahre Künſtler, gerade innerhalb unſerer Sippſchaft gefunden werden. Das Gelege beſteht aus 4—12 und mehr meiſt buntfarbigen Eiern. Beide Eltern brüten, und beide füttern gemeinſchaftlih ihre Jungen auf. Meiſt folgt im Laufe des Sommers eine zweite, ſelbſt eine dritte Brut auf die erſte.

Jm allgemeinen haben wir die Sperlingsvögel als vorwiegend nüßliche Tiere anzuſehen. Zwar gibt es unter ihnen einzelne, welche uns vielleicht mehr ſchaden als nüßen,