Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

68 Erſte Ordnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

da, wo zwiſchen den Feldern Felsblö>e hervorragen, Steinmauern aufgeſchichtet oder Steinhaufen zuſammengetragen wurden. Jn dem ſteinreihen Shweden, in Süddeutſchland, in der Schweiz iſt unſer Steinſchmäßer gemein; in Skandinavien darf er als einer der lezten Vertreter des Lebens betrachtet werden. Jh habe ihn überall angetroffen, wo ih hinkam, in Lappland ebenſowohl wie in der Nähe der Gletſcher des Galdhöpiggen, der Furka oder des Großglo>ners. Jn den Schweizer Alpen ſteigt er bis über den Gürtel des Holzwuchſes empor. Jn ähnlicher Weiſe leben die übrigen Arten. Sie ſind die Bewohner der wüſteſten Gegenden und der eigentlichen Wüſte ſelbſt; ſie gewahrt man noch inmitten der glühenden Öde, wo alles Leben erſtorben zu ſein ſcheint.

Unſer Steinſhmägßer , auf den ih meine Schilderung beſchränken darf, iſt ein hö<hſt beweglicher, munterer, gewandter, unruhiger, flüchtiger, ungeſelliger und vorſichtiger, ja faſt menſchenſcheuer Vogel. Er liebt allein zu wohnen und lebt mit keinem anderen Vogel in engerem Vereine. Nur auf dem Zuge und no< mehr in der Winterherberge vereinigt er ſich mit Angehörigen anderer Arten ſeiner Gattung oder Familie; aber niemals geht er mit ihnen einen Freundſchaftsbund ein. Es kommt vor, daß zwei Pärchen nahe bei einander hauſen und brüten; ſie aber liegen dann fortwährend in Hader und Streit. Wer beobachtet, muß den Steinſchmäger bald bemerken. Er wählt ſi ſtets den höchſten Punkt ſeines Wohnkreiſes zum Ruheſiße, iſt aber kaum eine Minute lang wirkli<h ruhig, ſondern bewegt ſi faſt ununterbrochen. Auf den Felſen ſitt er in aufrechter Haltung, jedo< niemals ſtill; ſ{<lägt wenigſtens von Zeit zu Zeit mit dem Shwanze nach unten und macht wiederholte Büälinge, zumal, wenn er etwas Auffallendes bemerkt. Die Spanier nennen ihn und andere Arten wegen dieſes unnüßen Bü>kens „Sakriſtan“, und alle Steinſhmäßer machen dieſem Namen Ehre. Auf dem Boden hüpft der Steinſchmäßer mit ſ{hnellen und kurzen Sprüngen dahin, ſo raſch, daß ex, wie Naumann ſagt, nur hinzurollen ſcheint. Aber im ſhnellſien Laufe hält er plöblih an, wenn ein Stein im Wege liegt; gewiß klettert er auf die Erhöhung, bü>t ſih wiederholt und ſegt erſt dann ſeinen Weg fort. Der Flug iſt ausgezeihnet. Fmmer fliegt der Steinſhmäßer dicht über dem Boden dahin, au< wenn er kurz vorher auf einer bedeutenden Höhe ſaß und ſich erſt in die Tiefe hinabgeſenkt hat. Er bewegt die Flügel ſehr raſh und ſtreicht in einer faſt geraden, aber genau beſehen kurzbogigen Linie über der Erde fort, gewöhnlih nach einem ziemlich weit entfernten zweiten Sißpunkte hin, zu deſſen Höhe er förmlich emporklettert, indem er, am Fuße angelangt, ſih wieder nah oben ſchwingt. Naumann ſagt ſehr treffend, daß der ſo dahinfliegende Vogel, weil man ſeinen weißen Bürzel am deutlichſten wahrnimmt, an eine vom Winde fortgetragene Gänſefeder erinnere. Nur während der Zeit der Liebe ändert er ſeine Flugbewegung. Er ſteigt dann in ſchiefer Richtung 6—10 m in die Luft empor, ſingt währenddem fortwährend, fällt hierauf mit hoh empor: gehobenen Schwingen wieder ſchief herab und beendet ſein Lied, nachdem er unten angetommen. Er lo>t „giuv giuv“ und hängt dieſem ſanft pfeifenden Laute gewöhnlich, zumal wenn er in Aufregung gerät, ein ſhnalzendes „Tak“ an. Der ſonderbare und niht gerade angenehme Geſang beſteht meiſt au< nur aus wenigen Strophen, in denen vorzüglich der Locton und krächzende Laute abwechſeln. Doch gibt es auh unter Steinſhmäßern einzelne Meiſterſänger, welche ziemlih gute Spottvögel ſind, und außerdem ſut jeder dur Eifer zu erſeßen, was ihm an Begabung abgeht: er ſingt mit wenigen Unterbrehungen vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend und häufig no< mitten in der Nacht.

Kleine Käfer, Schmetterlinge, Fliegen, Mücken und deren Larven bilden die Nahrung unſeres Vogels. Von ſeinem hohen Standpunkte aus überſchaut er ſein Gebiet, und ſein ſcharfes Auge nimmt jedes Weſen wahr, welches ſih auf dem Boden oder in der Luft bewegt. Laufenden Kerfen jagt er zu Fuße nach, fliegende verfolgt er nah Rotſchwanzart bis hoh in die Luſt.