Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/2
664 Fünfte Ordnung: Rallenvögel; erſte Familie: Rallen.
ihn beim Auffliegen wegzuſchnappen, und wenn er ſih wirklich erhebt, flattert er mehr, als er fliegt, wie ein junger Vogel, der ſeine Flugwerkzeuge zum erſten Male verſucht, fällt auh ſobald wie mögli<h wieder auf den Boden herab.
So ſ{<hmu> und nett er ausſieht, ſo unfreundli< iſt ſein Weſen anderen ſeiner Art oder ſhwächeren Tieren gegenüber. Auch er gehört zu den Raubvögeln und iſt wahrſcheinlih einer der ſ{<limmſten Neſtplünderer. Schon Naumann beobachtete an gefangenen Wachtelkönigen Biſſigkeit und Herrſchſucht, erfuhr auh, daß ſie kleine Sänger oder finkenartige Vögel ha>ten oder ſelbſt totbiſſen und dann das Gehirn verzehrten, fand ſelbſt getôtete Mäuſe, die ſie beim Futternapfe ergriffen hatten. Graf Wodzicki hatte Gelegenheit, dieſe Raubſucht in ausgedehnterem Maße kennen zu lernen. Fn einem Geſellſchaftsbauer lebten viele fleine Vögel froh und in Eintracht, bis ein Wieſenknarrer zu ihnen geſeßt wurde. Von dieſer Zeit an fand man täglich getötete und teilweiſe verzehrte Vögel, und zwar niht nur von den kleineren Singvögeln, ſondern zuweilen auch ſolche bis zur Größe einer Droſſel. Es wurden Eiſen und Fallen geſtellt, auh alle Öffnungen zugemacht; aber nihts konnte die Vögel ſ{hüßzen, weil niemand auf den Gedanken kam, daß der Feind eben der Wieſenknarrer war. Ein glü>liher Zufall lehrte, daß der Mörder ſi<h in dem Geſellſhaftsbauer ſelbſt befand: man vergaß nämlih einmal, den Vögeln Waſſer zu geben. „Als wir nach Hauſe kamen, fanden wir die armen Geſchöpfe traurig und mit aufgeſträubtem Gefieder ſißen, ließen daher glei<h das Trinkgefäß füllen und beluſtigten uns darüber, wie zuerſt die größeren, dann die kleineren ihren Durſt ſtillten. Der Wieſenknarrer war der erſte; als er ſih ſatt getrunken hatte, lief er zunächſt fröhlih umher mit aufgehobenem Schwanze und heruntergelaſſenen Shwingen; dann wurde ſein Schritt langſamer, er beugte den Körper hernieder, \{li< in dieſer Stellung ſacht an das Trinkgefäß und hieb mit dem Schnabel nah einem Rotkehlchen. Als der Vogel umfiel, ergriff er ihn mit den langen Zehen und verzehrte vor unſeren Augen ſeine, wie es ſchien, alltägliche Beute. Wir ließen den Räuber noch einige Tage in dem Geſellſchaftsbauer, um uns zu überzeugen, wie viele Vögel er täglich zu ſeiner Nahrung brauche, und fanden am anderen Morgen wieder Federn auf dem Boden.“ Dies brachte Graf Wodzicki auf den Gedanken, daß der Wieſenknarrer wohl der Zerſtörer. der vielen Erdniſterbruten auf naſſen Wieſen oder im Sumpfe, deren ausgetrunkene Eier man häufig findet, ſein müſſe. Zwei Wieſenknarrer, die in einem Geſellſchaftskäfige des Frankfurter zoologiſhen Gartens leben, ſind dagegen, nah Haae, friedfertige Vögel.
Abgeſehen von ſolchen Übergriffen, empfiehlt ſi<h der Wieſenknarrer ſehr für die Gefangenſchaft. Er iſt einer der drolligſten und unterhaltendſten Vögel, die man halten kann. „Anfangs“, ſagt mein Vater, der ihn vortrefſſlih beſchrieben hat, „läuft er ungemein ſ<hnell hin und her und iſt ſehr ungeſtüm; nah kurzer Zeit aber wird er zahm, und dann nimmt ex die ſonderbarſten Stellungen an. Bald ſteht er aufgerichtet wie ein Menſch, mit weit vorſtehendem Schienbeine und ganz ausgezogenem Halſe: dabei drüd>t er die Federn ſo an, daß er ganz ſlank ausſieht; bald geht er gedu>t und macht einen großen Katenbu>el. J<h hatte einen mit einem Teichhuhne zuſammen in einem Behälter. Ev hielt dieſes in gehöriger Achtung, ſträubte, wenn es auf ihn zukam, die Federn und fuhr mit dem Schnabel ſo nach ihm, daß es in Furcht geriet und die Flucht ergriff. Nun ging er ſtolz hin und her und ſchien ſich ſeines Sieges zu freuen. Den Hals zog er unaufhörlich aus und ein und brachte dadurch eine ungewöhnliche Abwechſelung in ſeinen Stellungen hervor. Gewöhnlich läuft er in der Stube umher und ni>t dabei mit dem Kopfe, trägt aber den Schwanz wagerecht. Oft verkriecht er ſi in einen Winkel und fährt, wenn er ſih entde>t oder nahe bedroht ſieht, plößzlih heraus. Außerordentlih groß iſt ſeine Furcht vor Kaßen und Hunden. Bei Annäherung einer Kaße fliegt er gerade in die Höhe; da aber die Nichtung