Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Lummen: Brutpläße. Lebensweiſe, Fortpflanzung. 143

vor ihnen niederlaſſen, ſie anſehen, ſih zeihnend oder ſchreibend beſchäftigen: ſie fliegen niht davon. Aber ſie beweiſen troßdem dem aufmerkſamen Beobachter deutlih genug, daß ſie nur in gewiſſem Sinne als dumme Vögel bezeichnet werden dürfen. Der Menſch, der ſie ſelten heimſucht, erregt keine Beſorgniſſe; ein Edelfalke hingegen räumt einen ganzen Vogelberg, ſobald er ſi ſehen läßt, ein fern herbeiziehender Seeadler ſheu<ht Tauſende ſofort in die Flucht. Auch ſie alſo kennen ihre Feinde wohl, und wenn ſie den Menſchen niht dazu re<nen, ſo geſchieht es eben nur deshalb, weil ſie ihn als ſolchen niht anſehen. Zudem kann man es niht wahrnehmen, ob unter den Millionen, die man vor ſi hat, ſi einzelne finden, die Erfahrung ſammelten und durch ſie klug wurden. So viel weiß man, daß ſie da, wo ſie einzeln auftreten, durch fortgeſeßzte Nachſtellungen doch au< furchtſam werden und ſ<hließlih die Menſchen als ihre Feinde erkennen lernen. Unter ſi leben ſie höchſt friedlich, und auch mit anderen Vögeln, die ihnen nicht gefährlih werden können, halten ſie gute Freundſchaft. Sie ihrerſeits behelligen keinen anderen Bergvogel, ſuchen ſih eher nüßgli<h und gefällig zu zeigen.

Wer ſie liebgewinnen will, muß ſie auf ihren Brutpläßen beſuchen. Hierzu erwählen ſie fih ſteil aufſteigende Schären oder einzelne Felswände, die ſih unmittelbar vom Geſtade erheben und reih an Geſimſen, Vorſprüngen und Spalten ſind, auh mögliſt ergiebigen Fiſhfang gewähren. Wahrſcheinlich iſt das Meer in der Nähe dieſer Brutfelſen beſonders reih an Fiſchen und Krebſen, ihrer Nahrung, und möglicherweiſe beeinflußt die Himmelsgegend, nah der eine Wand oder ein Hauptteil des Berges liegt. die Wahl: jedenfalls muß man ſie als eine glü>liche bezeihnen. “Ausgang März oder Anfang April erſcheinen ſie in größeren oder kleineren Scharen auf den Bergen, und nunmehr beginnt bald das eigentümliche Leben und Gewimmel um dieſe. Feßt wird der Vogelberg in der That zu einem ungeheuern Bienenſto>e. Ein Wolke von Vögeln umlagert ihn fortwährend; Tauſende und Hunderttauſende ſiven, ſcheinbar in Reihen geordnet, die weiße Bruſt dem Meere zugekehrt, auf allen Vorſprüngen, Winkeln, Spiben, Geſimſen, überhaupt da, wo es einen Sibplaß gibt, andere Hunderttauſende fliegen von oben nah unten und von unten nah oben, andere Maſſen fiſchen und tauchen unten im Meere. Auth der größte Berg, die ausgedehnteſte Felswand wird überfüllt mit Bewohnern; aber jeder einzelne begnügt ſi<h, und niemals ſieht man Streit um die Niſtpläße entſtehen. Jeder ſcheint ſi< in Duldung gegen den Nachbar überbieten zu wollen, einer ſucht dem anderen zu helfen und beizuſtehen ſoviel wie möglih. Die Paare hängen auf das innigſte zuſammen, ſißen, bevor die Eier gelegt wurden, beſtändig nebeneinander, liebkoſen ſih mit den Shnäbeln, reiben die Hälſe gegeneinander, fliegen in demſelben Augenbli>e auf und in das Meer hinab, fiſhen gemeinſchaftlih und kehren wieder zum Neſte zurü, an dem ſie ſih ſpäter in alle Geſchäfte der Bebrütung teilen.

Das Weibchen legt nur ein einziges, aber ſehr großes, etwa 85 mm langes, 52 mm dices Ei, das kreiſelförmig geſtaltet, ſtarkſchalig, grobkörnig und auf lihtem Grunde dunkler gefle>t und gezeihnet iſt, aber ſo vielfah abwechſelt, daß man unter 100 kaum 2 findet, die ſi vollſtändig ähneln. Die Grundfarbe kann von Weiß dur< Gelb und Grau ulle Schattierungen durchlaufen, die Zeichnung aus Fle>en, Punkten, Tüpfeln beſtehen, die ſpärlicher oder dichter über die Oberfläche zerſtreut ſind, am vorderen oder hinteren Ende ſih kranzartig vereinigen oder ſih gleihmäßig über die ganze Oberfläche verteilen. Eigentliche Neſter werden niht gebaut, die Eier vielmehr ohne jeglihe Unterlage auf das na>te Geſtein gelegt, hier niht einmal die gröberen Kieſel weggeſharrt. Sofort nah dem Legen beginnt die Bebrütung, und dabei löſen ſi<h nicht bloß die beiden Gatten eines Paares ab, ſondern es finden ſi< auf allen Vogelbergen auh gutmütige überzählige Stücke, die ſih mit wahrer Freude auf das unbeſeßte Ei ſtürzen und es flugs ein wenig bebrüten.