Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation
Jene oben erwähnte Bindung an die Tradition: die Herleitung der ratio optimi aus dem Sein wird denn auch gleich durch den folgenden Gedanken aufgehoben: Tolle ab optimo rationem: nihil est. Damit conform geht die ratio 7: Tolle scientiam, remanet unum purum nihil. Daraus folgt: das Erkennen als solches erzeugt das Sein. Daß diese Auffassung berechtigt ist, zeigt die Widerlegung der ratio 10 durch Gonsalvus. Er hat Eckharts Meinung so aufgefaßt, daß sie besagt: das Wahre sei die Ursache des Besten und habe die ratio optimi, weil es erkannt werde (Gey. 10,15 ff; 22,17 ff).
Die These von der Schöpferkraft der Erkenntnis kann zwar auch im ontologischen Sinne verstanden werden. Dann ginge Ec&khart mit Thomas von Aquin konform: rationes productivae rerum (De Ver. 4, Sc). Bei Thomas handelt es sich aber um die Begriffe im göttlichen Intellekt, bei Eckhart hingegen müssen wir Erkenntnis als Erkenntnis schlechthin interpretieren; ferner kennt er nicht die thomistische Unterscheidung der cognitio speculativa und der eognitio practica. Bei ihm gilt nur die erstere, aber nun nicht im Sinne einer materialen Erzeugung, sondern einer logischen. Das zeigt der schon erwähnte Satz: omnia per ipsum facta sunt, ut ipsis factis esse post conveniat. Die facta liegen also schon vor und ihnen kommt erst durch das Erkennen ein Sein zu“). ef. Ge. 19, 25: Est aliquid optimum, quia in intellectu: dadurch, daß es im Intellekt ist, ist es optimum durch die ratio optimi.
Wir können als Ergebnis formulieren: Die Erkenntnis bestimmt die Faktizität zum Sein kraft des Begriffes. Damit ist der ontologische Ursachenbegriff umgedeutet zu einem solchen der logischen Bestimmung, zum Ursprung. An dieser Stelle unserer Überlegung taucht sogleich die Frage auf: Hat sich nicht in den Seinsbegrif eine ganz eigentümliche Zweideutigkeit eingeschlichen? Wir schließen aus dem Satz: tolle scientiam, remanet nihil. oder: tolle rationem optimi, nihil est, im Zusammenhang mit dem Obigen: die Erkenntnis bestimmt etwas zum Sein kraft des Begriffs. Dann bleibt aber immer der Begriff Begriff und das Etwas. das erkannt wird, ein Etwas. Also müßte doch eigentlich aus jenem Satz: tolle seientiam gefolgert werden: remanet esse, denn Eckhart hatte Erkennen und Sein als Dasein schlechthin grundsätzlich voneinander geschieden, und an eine materiale Erzeugung von Daseiendem aus der Erkenntnis hat er, wie gezeigt wurde, nicht gedacht. Wenn also der Begriff nicht ist, bliebe doch das Sein als Dasein. Gleichwohl heißt es: remanet nihil. Das
11) Diese Auslegung steht in schärferer Formulierung im Sapientia-
kommentar III 338: omnia facta per ipsum sunt, id est: habent esse. Omne factum sine Deo, a quo est esse, nihil est.
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