Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

Kreatur ist der Quell alles Leides, und trennt sie von einander. Aber das Leid ist keine Schranke, sondern nur Ferne, Distanz, die überwunden werden muß durch die Kraft der Liebe, in der nun das Leid zu nichts anderem wird als zur Form des Suceganges der liebenden Seele, um die Einheit mit Gott zu gewinnen. Das Leid ist der Weg zu Gott‘). Es ist sehr bedeutsam, daß Eckhart das Leid nicht einseitig nur die Seele, das Ich ertragen läßt, sondern daß er das Leid als Korrelationsausdruck bestimmt in dem Begriff des Mitleidens Gottes‘), in seinem ursprünglich korrelativen Sinn, nicht in der Bedeutung einer erbarmenden Gnade, denn Gott, so sagt Eckhart, leidet unter der Trennung vom Ich ungleich mehr als das Ich selber””). Der Leidbegriff wird geradezu zu einem Wesensausdruc der Korrelation: Nach dem Axiom, daß es in Gott keine Akzidenzen gibt, sondern nur Wesentlichkeit, schließt Eckhart: wenn in Gott Leid ist, so ist das Leid selber Gottes Wesen und mein Leid ist daher in Gott und Gott selber ist mein Leid. Im Wesen des Leides distanziieren sich gleichsam die Leidenden als polare Glieder der Leidkorrelation (BgTr. 55, 21—52). In Gott aber ist das Leid zugleich der Ausdruck der Seligkeit und göttlichen Freude, nicht als sentimentales Leidgenießen, sondern als Ausdruck der ungeheuren Kraft des Wesens, durch die Liebe allen Schmerz zu überwinden und zu nichte zu machen”).

Aus der Korrelativität des Leides folgt, daß Gott das Leid nicht um seiner selbst willen verhängen kann, sondern nur als Mittel, dem Menschen um so größere Seligkeit zu verleihen””), und daß ferner Leid keine Strafe Gottes ist. Nur der kreatürliche Mensch kann es so empfinden und den Schmerz an sich als ein Unglück betrachten; dem guten Menschen aber, der die Kreatürlichkeit überwunden hat, ist er nicht Unglück, sondern Glück und Seligkeit (BgTr. 56,24 ff). Daher ist für den religiösen Menschen der Schmerz nicht eine unangenehme Unterbrechung seines geruhsamen Lebens, sondern im Ertragen und Ertragenwollen bewährt sich gerade seine Gottverbundenheit. Nicht das „gelitten haben“ ist sein Ruhm, sondern das „immerdar leiden“. Es ist die logisch funktionale Wendung im Prinzip der Erneuerung, die Eckhart auch für den Leidbegriff wirksam macht’). Diese Beherrschung und Überwindung des Leidens aus der Kraft

883) Pf, 104: 358, 53,58, 559, 2 ff.

o) BgTr. 52,25, 35, 1,19, 24.

700) RAU. 19,24; BgTr. 53,25: Pf. 10: 54, 27 ff. 0) BeTr. 17,22, 29,52 ff, 55, 35; 36, 24.

02) BgTr. 13, 32.

0) BeTr. 24,37, 28,29 ff.

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