Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

304 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.

au niht für ihn zu den Waffen. Es hätte dazu des Hebels der Frei= heit oder des Ruhmes bedurſt. Aber die Freiheit hatte Napoleon viele Jahre lang folgere<t unterdrüct, und es war ihm niht mögli, ſie plößlih aus der Aſche hervorrufen zu wollen, ohne ſi< der Gefahr, von ihr verzehrt zu werden, auszuſeßen, und ſein Ruhm war damals, ehe noch die Geſammtheit ſeines Daſeins überſehen werden konnte, dur die Einnahme von Paris und ſeine Abdankung etwas verdunkelt worden. Wäre ihm dieſe Lage der Dinge vorher vollkommen bekannt geweſen , ſo würde er, ungeachtet ſeiner ungeduldigen Herrſhſuht, wahrſcheinlih in Elba geblieben ſein, oder wenigſtens günſtigere Umſtände abgewartet haben. Aber der kühne Schritt war einmal geſchehen, und konnte nicht mehr zurü>genommen werden.

Er raffte alle regelmäßigen Streitkräfte , die er finden konnte, zuſammen, aber der Unterſchied zwiſchen der Macht, die er aufzubringen vermochte, und der, welche ſeine Feinde, wenn au< langſamer, ihm entgegenſtellen konnten, war ſo groß, daß ſelbſt ſein furhtloſer Sinn ſi<h darüber niht immer der Beſorgniß erwehren konnte, und ſeine Miniſter, die Kammern, überhaupt die aufgeklärten Klaſſen der Na= tion, von dieſem Gedanken mit Schre>en erfüllt wurden. Er ſah voraus , daß die Verbündeten ihre Heeresmaſſen nicht auf einem einzigen Punkt verſammeln, ſondern auf verſchiedenen Seiten in Frankreich ein= zudringen verſuchen würden. Die einzige Hoffnung, die ihm übrig blieb, beſtand darin, die erſte feindliche Armee, die er erreichen konnte, zu ſ<lagen , wo möglich zu vernichten, ſi< raſ< auf eine zweite zu werfen, und ihr daſſelbe Schi>ſal zu bereiten. Die Tapferkeit und Begeiſterung ſeiner Truppen machte eine ſolche Ausſ\icht möglich. Die erſten davon ge= tragenen Siege, ſo erwartete Napoleon, würden den kriegeriſchen Sinn der Franzoſen erwe>en, und die waffenfähige Jugend nach den Gränzen eilen. Während dieſer Zeit dachte er einzelne ſeiner Feinde, namentlich Oeſterreich, an deſſen Standhaftigkeit gegen ihü er am wenigſten glaubte, dur geheime Unterhandlungen und vortheilhafte Anerbietungen zu ge= winnen oder durch die Beſorgniß eines endloſen Krieges und einer mög=z lichen Ueberwältigung zu ſhre>en, ſo den großen Bund gegen ihn zu trennen , und zuleßt im Beſitze Frankreichs zu bleiben. Bei der Erinnerung an ſein früheres Glü> und bei dem Bewußtſein ſeines militairiſchen Genies konnte ihm ein ſolcher Gang der Dinge nicht als leerer Traum erſcheinen. Aver ſeine ganze frühere Laufbahn zu erneuern, war ſogar im glüliſten Falle niht mögli, und er glaubte ſelbſt niht daran. Bei dem Lebensalter, in welchem er ſtand, hätte ihm auch die Zeit dazu gefehlt.