Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

308 Neueſte Geſichte. 2. Zeitraum.

Stellungen verwandt geweſen. Die Generation von Generalen, mit ber Napoleon zu ſiegen gewohnt geweſen , und die ihm am nächſten geſtanden, war, mit wenigen Ausnahmen , entweder verſ<hwunden oder unbrauchbar geworden , oder hatte ſih ihm entzogen.

Aber nicht nur Napoleon's äußere Lage , als Feldherr , mußte ſelbſt ihm, ſo zuverſichtlih und entſchloſſen er au<h war, unſicher und bedenklich erſcheinen , au ſeine nächſten, rein menſchlichen Verhältniſſe, ſeine Familienbande, waren von eben ſo außerordentlicher als unglü>licher Art. Seine Gemahlin und ſein Sohn, für welchen lezteren er ſein Reich zu behaupten und zu vertheidigen dachte , befanden ſich in der Gewalt ſeiner Feinde. Seine beiden Brüder Joſeph und Hieronymus, denen er früher Kronen verliehen, erinnerten ihn durch ihre Gegenwart mehr an die großen Verluſte , die er erlitten, als daß ſie ihn aufrichten oder unterſtüßen konnten. Das einzige Mitglied ſeiner Familie , das ein bedeutendes mili tairiſches Talent beſaß, Eugen Beauharnais, den er ſelbſt zum Krieger ausgebildet und an Sohnes Statt angenommen, weilte in einem fremden Lande. Hierzu kam noc das Gefühl, von ganz Europa ausgeſtoßen zu ſein, unter ſeinen Miniſtern Verräther , in der Volksvertretung Gegner zu haben, und von einem großen Theile der Nation nicht mehr mit dem früheren Vertrauen betrachtet zu werden. Die Erinnerung an das, was er einige Jahre vorher geweſen, und die Schnelligkeit , mit der er geſtürzt worden, hätte allein hingereiht, um eine weniger ſtarke Natur zu ver= wirren und zu erſhüttern, Er war damals in der furchtbaren Lage, im eigentlihſten Sinne Alles auf das Spiel ſeßen zu müſſen, Leben , Frei= heit, Beſiz und ſelbſt den Ruhm, um nicht von Neuem Alles zu verlieren. Vor ihm hatte ſi< die Macht und der Haß ſeiner Feinde wie eine Mauer aufgethürmt, und hinter ihm lag ein Abgrund. Nie hat ſi ein großer Maun in einer ſo drangvollen Stellung befunden. Aber der Charafter Napoleon's war von der Art, daß er, ſo lange ihm die Möglichkeit zu handeln übrig blieb, alle äußere Gefahren zu überſteigen und jeden inneren Schmerz niederzudrü>en vermohte. Er ging in ſeinen letzten Kampf gegen Europa mit dem Feuer der Jugend und der Feſtigkeit reiferer Jahre.

Napoleon verließ in der Nacht vom 11. zum 12, Juni Paris und traf ſhon am folgenden Tage alle Vorbereitungen zur Eröffnung des Feldzuges. Er liebte es, neue große Unternehmungen an dem Jahrestage ſhon vollbrahter zu beginnen, wozu ihm ſein thatenreihes Leben vielfältige Veranlaſſung bot. Am 14. Juni, wo er bei Marengo unv