Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

eines schönen, von ihm selbst illustrierten Buches über den Ausdruck: „Mimik und Physiognomik“. Hier finden wir zum erstenmal Kapitel wie „Der offene Blick“, „Der versteckte Blick“, „Der süße Zug des Mundes“, Piderit tat faktisch, was wir selber zu tun im Begriff sind, er betrieb Ausdrucksphysiognomik. Er war eigentlich der Begründer unserer Methode, aber allerdings stand er am Anfang und mußte sich begnügen, die ersten Elemente sicherzustellen, die einfachsten Einstellungen von Augen, Stirn, Nase, Mund; vieles davon ist unvollständig, manches anfechtbar, das ist für den Erschließer eines neuen Verfahrens selbstverständlich und kann sein Verdienst nicht schmälern. Um so sonderbarer, daß er zunächst nicht Schule machte, daß sein Verfahren nicht sogleich von vielen Jüngern weitergebildet wurde. Es ist klar, er hatte den Schlüssel noch nicht gefunden, der hier genau gepaßt hätte, deutlicher gesagt, er verstand es noch nicht, die Lehre von den Bezugswendungen, von den drei Haupteinstellungen des Individuums zur Umwelt, konsequent zur Beschreibung der Ausdrucksmerkmale auszunützen. Dafür ist diese Beschreibung nicht die einzige Bereicherung, die die Ausdruckslehre Piderit zu verdanken hat. Er unterschied zwischen der Mimik, den flüchtigen, jeweils wechselnden, momentanen Ausdruckszügen, und der Physiognomie, der Gesamtheit der Dauerspuren gewohnheitsmäßiger Ausdruckseinstellungen. Zugleich warnt er auch vor der Beurteilung nach der Körperform und weist z. B. auf den Mißbrauch hin, der mit dem Merkmal der hohen Stirn als Kennzeichen bedeutender Geister getrieben wird. Piderit führte als Gegenbeispiel Friedrich den Großen an (III, 3 und Fig. 6), der nicht nur eine fliehende Stirn, sondern auch ein zurücktretendes Kinn hatte, ein rechtes „Winkelprofil“ im Sinne der mo-

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