Griechische Bildwerke : mit 140, darunter etwa 50 ganzseitigen, Abbildungen

EINLEITUNG

ir werden nie aufhören können, auf

das griechische Altertum als auf das

goldene Zeitalter zurückzublicken ; je enger wir uns selbst gebunden fühlen, mit um so tieferem Verlangen nach Freiheit und Natürlichkeit, je freier und natürlicher wir unser eigenes Dasein empfinden, mit um so größerer Heiterkeit und um so lebhafterem Glücksgefühl. Denn in den Griechen, diesen „frischen Jünglingen der Welt“, werden wir immer von neuem den Menschen erkennen, wie er heil und gesund zum erstenmal aus den Händen der Natur hervorgegangen ist, um in vollkommener Unbefangenheit seine Kräfte zu entfalten.

„Nicht bloß ewige Kinder waren die Griechen, wie sie der ägyptische Priester schalt, sondern auch ewige Jünglinge.“ Da ist nichts erzwungen, nichts verstellt, durchaus herrscht überall die reizendste Leichtigkeit natürlichen Empfindens. Frei darf Hermes angesichts von Hephästos’ Schmach vor den Göttern glühend bekennen, daß er gleichem und herberem Schimpf zum Trotz sich in der goldenen Aphrodite Arme sehne. — Wer empfände nicht, daß Gesundheit höchstes Gut ist? Wo aber hat das natürlichste Gefühl so unvergeßlichen Ausdruck gefunden wie in dem griechischen Skolion, das neben dem Glück der Gesundheit als wünschenswertestes Gut die Schönheit preist?

1.

„Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Bewußtsein eigener Gesinnungen und Gedanken, das Erkennen seiner selbst, welches ihm die Einleitung gibt, auch fremde Gemütsarten innig zu erkennen.“ Es ist in der Tat ein Zeugnis für die Klarheit des ethischen Bewußtseins der Griechen, daß unter ihnen dieser Satz, mit dem Goethe auf der Höhe des Lebens seine Beurteilung Shakespeares einleitet, schon in frühester Zeit erstes Gesetz sittlicher Bildung war. Denn jenes apollinische

„Erkenne dich selbst‘ darf nicht in der späteren einseitigen Verkehrung als Mahnung, die eigene Schwäche zu erkennen, verstanden werden; es entspringt vielmehr ganz ursprünglich der Erkenntnis, daß der Mensch den Sinn der ihn umgebenden Welt nur in dem Maße zu begreifen imstande ist, wie er die Bedingungen und den Inhalt seines eigenen Daseins erkennt, da doch einmal der Mensch das Maß aller Dinge ist.

Wir freilich sind gewohnt, die Begriffe Selbstbewußtsein und Naivität als gegensätzlich zu empfinden. Und doch bedeutet Naivität nur, daß nicht mehr und nichts anderes geäußert wird, als in Wahrheit vorhanden ist: naiv ist jeder ganz aufrichtige Mensch. Aufrichtigkeit aber ist der Grundzug des griechischen Charakters, in dem zu allen Zeiten die Naivität mit dem höchsten Selbstbewußtsein verbunden war.

Dieses griechische Selbstbewußtsein entsprang der vollkommenen geistigen Freiheit der griechischen Menschheit. Als der Perser Hydarnes, der fürstliche Herr über Kleinasien — erzählt Herodot — spartanischen Gesandten riet, die Freundschaft des Perserkönigs zu suchen, war ihre Antwort: Wohl verstehst du dich, Hydarnes, auf die Knechtschaft, aber die Freiheit hast du nicht gekostet, du weißt nicht, ob sie süß ist oder nicht. Denn hättest du sie gekostet, so würdest du uns raten, um sie zu kämpfen, nicht mit Speeren allein, sondern noch mit Beilen. Und als denselben Gesandten angesonnen wurde, vor dem Könige niederzufallen, weigerten sie sich dessen und erklärten, sie würden es nimmer tun, auch wenn man sie mit den Köpfen auf die Erde stieße, denn ihre Gewohnheit sei es nicht, vor einem Menschen niederzufallen, und auch nicht deswegen seien sie gekommen.

Dieses bare Unvermögen, auf die freie Selbstbestimmung zu verzichten, das sich