Illustrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/15., S. 240

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Maſchinen für Parfümerieartikel hergeſtellt worden waren, ſurrten die Motore und klatſhten die Transmiſſionen an den Drehbänken, in denen Frauen und Mädchen, die Feld-

grauen exſeßend, die Eiſen- oder Stahlrohſtäbe eingeſpannt

hatten, um daraus Granaten zu dre<ſeln. ‘

Bild 1 zeigt uns das äußerlihe Abdrehen der Geſchoſſe, das mit peinliher Genauigkeit erfolgen muß, denn das Geſchoß darf auf dem Wege dur<h die Rohrſeele niht ſh<lottern. Noh weniger darf es zu di> ſein und ſte>en bleiben, wodur< ein Berſten des Geſhüßes verurſa<ht werden fönnte. Nahe dem Kopfe iſt die Granate etwas

dider. Man nennt dieſen Teil die Zentrierwulſt. Nahe dem

Boden wird außen eine kreisförmig umlaufende Rille eingefräſt, in die mit hydrauliſhem Dru> ein Kupfexrring — der Führungsring — eingepreßt wird. Dieſer ſteht etwas vor, iſt aber ſehr weih und ſhmiegt ſi, ſobald das Geſ<hoß ſih in Bewegung feßt, der Führung der gezogenen Seele an, auf dieſe Weiſe dem Geſchoß eine Drehung um ſeine Längsachſe gebend, die es bis zum Springen beibehält.

Bild 2 und 4 ſtellen das Ausdrehen des inneren Hohlzraums dar, ſowie das La>ieren desſelben, damit die Pifrinſäure niht mit dem Metall in Berührung kommen und <hemiſ<he Verbindungen eingehen fann.

Auf Bild 5 ſehen wir das Ausleuhten, Abſtempeln und Verſchrauben der geſtrihenen Granaten, bei 3 das Wiegen. Ein kleiner Gewichhtsunterſhied ändert die Flugbahn des Geſchoſſes ſehr weſentlih. Je größer die Shußweite iſt, um ſo mehr. Es muß. deshalb eine mögli<hſt genaue Übereinſtimmung des Gewichts aller Granaten derſelben Art verlangt werden. Denn eine Granate, die um 10 Meter zu Éurz geht, ſ{<lägt mit nur geringer Wirkung vor der BrUſt= wehr, eine 10 Meter zu weit gehende ganz ohne Wirkung hinter dem Graben ein. Um aber gar auf 2 Meter genau in den Graben zu treffen, dazu gehört neben genauem Richten ein genau gearbeitetes Ge|\GÜüß, ein ebenſolhes Ge=[<hoß, rihtiges Ermitteln der Entfernung und — Glü>! Daher der große Geſchoßverbrauh.

Bild 6 endlih zeigt uns den gewiſſenhaften deutſ<hen Feuerwerker bei der „Abnahme“. Er hat mit ſogenannten „Leeren“ die Abmeſſungen genau zu prüfen und was niht ſtimmt, zurülzuweiſen. Das iſt ein Dienſt im verborgenen, der unbedingte Zuverläſſigkeit bei ſ<hneller Arbeit verlangt und auf deſſen rihtiger Ausführung die Wirkung unſerer Artillerie hauptſähli<h. mit beruht. Wir wollen alſo au< unſerer Feuerwerter niht vergeſſen !

Nachdem die Geſchoſſe dur< den von unſeren Bildern veranſhaulihten Kleinbetrieb unſerer „mobiliſierten Zivilinduſtrie“ hindur<hgegangen ſind, gelangen ſie zum Einpreſſen der Führungsringe in die Rieſenhallen unſerer Weltfirmen. Von da wandern ſie dann in andere, unter militäriſher Aufſiht ſtehende Betriebe, wo ſie geladen werden.

Zwei Millionen Gefangene.

Zwei Millionen Feinde ſind den deutſhen und öſterreihiſ<hzungariſhen Truppen ſeit Kriegsbeginn bis Mitte Auguſt 1915 als Gefangene in die Hände gefallen. Dieſe in der Weltgeſchichte unerhörte Zahl gibt, wie die „Frankfurter Zeitung“ ſchreibt, das greifbarſte Maß unſeres Erfolges. Er iſt mit dem Fortſchreiten des Krieges gewachſen. Während die erſte Million Kriegsgefangener na<h 6 Monaten und 3 Wochen exrreiht war, hat es eines Monats wenig2r bedurft, um dieſe reihe Beute zu verdoppeln. Die zwei Milz lionen verteilen ſi<h unglei<h auf die Heere des feindlihen Bundes. Die Weſtfront, die monatelang faſt unveränderlih feſtſtand, hat etwa 331 000 franzöſiſche, belgiſhe und engliſhe Gefangene eingebraht. Das Heer der Donaumonarchie hat auf dem ſüdöſtlihen Kriegſhauplaß 23.000 Serben ge=fangen genommen. Der Reſt entfällt auf das ruſſiſche Heer, das 1 654 000 Mann dur<h Gefangennahme verloren hat. Mehr als die Hälfte davon ſind in den leßten Monaten in den Händen unſerer Truppen geblieben. Seit der Durhbruh bei -Tarnow und Gorlice den erſtarrten Stellungskrieg im Oſten zur friſhen Bewegung auſgelöſt hat, nahmen wir in Galizien, Polen und im Norden 301 000 Ruſſen gefangen, im Juni 220 000, in der erſten Hälfte des Juli 32000. Am 14. Juli begann dann der Hauptangriff der verbündeten Armeen gegen die polniſche Feſtungslinie, der zu dem umfaſſenden Geſamtrüczug der Ruſſen führte. Hier brahten wir bis Ende Juli 190 000, bis Mitte

‘regen hofften.

Illuſtrierte Geſhihte des Weltkrieges 1914/15.

Auguſt weitere 95 000 Gefangene ein, ſo daß die ruſſiſhen Heere ſeit dem 14. Juli wieder 285 000 Mann eingebüßt haben. Die gewaltigen Verluſte der Ruſſen hindern, ſo bemerkt das Blatt, die ruſſiſ<hen und franzöſiſhen Militärkritiker niht, den RüGzug als gelungenes Manöver zu erÉlären, das die ruſſiſ<he Armee vor Verluſten bewahrt habe. Dieſe Manöver aber haben den Ruſſen größere Einbuße gebracht als die gewaltigſten Shlachten. Bei dieſen Zahlen ſind die Gefangenen niht eingere<hnet, die von unſeren * türfiſhen Verbündeten und von den Öſterreihern und Ungarn auf der italieniſ<hen Front gemaht worden ſind. Es

Tiegt in der Art der Kämpfe an den Dardanellen, im Kau-

faſus und am Jſonzo begründet, daß die Gefangenenzahlen hier niht zu fo gewaltiger Höhe anſ<wellen, wie auf den Hauptfkriegſ<haupläßen Europas. Deſto größer ſind dort die

blutigen Verluſte unſerer Feinde. Jhre Geſamteinbuße an

kriegeriſhen Kräften iſt auf viele Millionen Mann zu \häßen. Kein Menſchenvorrat der Welt wird während des Krieges imſtande ſein, dieſe Verluſte wieder gutzumachen,

Erſtürmung von Fes durch Kabylen.

(Hierzu das nebenſtehende Bild.)

Unleugbar haben die Franzoſen aus ihren Kolonien einen erheblihen Vorteil gezogen, indem ſie von dort eine große Zahl farbiger Soldaten auf den europäiſhen Kampfplaß werfen fonnten. Jhre jüngſte aber, um die {hon vor einigen Jahren beinahe ein Krieg entbrannt wäre und die dann dur< die Konferenz von Algeciras feſt in ihre Hand gegeben wurde: Marofkfo hat die günſtig ſheinende Ge=legenheit ſofort benußt, ernſte Anſtrengungen zur Wiedergewinnung der verlorenen Freiheit zu machen. Bereits im September vorigen Jahres wurden verluſtreihe Scharmüßel der Franzoſen gegen Auſſtändiſ<he gemeldet. Die Verkündigung des heiligen Krieges rief den größten Teil der Marokkaner, ſoweit ſie niht unmittelbar von den Kaz nonen der Fremdherrſher bedroht waren, zur Erhebung | gegen die Eindringlinge auf. Auch aus Algier, ja ſelbſt aus Tunis maten ſih viele Kabylen auf, an dieſem Be=freiungsfampfe teilzunehmen. Anderſeits hatten die Frans . zoſen gerade aus Algier die Truppen fortgeholt, die ſeit Jahren im Kolonialkrieg ausgebildet waren, die Turko und Spahi; den Fremdenlegionären aber, unter denen es ja leider ſo viele Deutſche gibt, mochten ſie wohl ſelber niht mehr reht trauen. So zogen ſie ſih allmählih aus dem Innern des Landes zurü>, und wo ſie gelegentlih ernſteren Widerſtand wagten, endete der Strauß gewöhnli< mit empfindlihen Verluſten für ſie. Im Januar fam dann über Konſtantinopel die Nachricht, daß einer der angeſehenſten marokfaniſhen Führer, Abdul Malik, ſi< der Hauptſtadt Fes bemähtigt habe. Die Franzoſen leiſteten in der Er=wägung, daß ihr Anſehen dur< den Verluſt dieſer Stadi \<hweren Schaden leiden mußte, langen und zähen Wider= ſtand. Aber dex blinde Todesmut iſlamitiſher Streiter im heiligen Krieg iſt ja bekannt, und ſo ſcheuten au die Truppen Abdul Maliks kein Opfer, ihr Ziel zu erreichen. Dazu kommt, daß. er eine ſtarke Stüße an. dem ans geſehenen Rais Uli fand, der ja ſhon in der Zeit vor und nah der Algeciras-Konferenz in den dortigen Unruhen eine wichtige und für die Franzoſen ſehr unliebſame Rolle geſpielt hatte. Zuletzt verſuchten dieſe dann no Uneinigkeit in die Reihen der Feinde zu tragen, indem ſie dur von ihnen ab= hängige angeſehene Marokkaner Abdul Malik die Sultanswürde anboten und ſo den Neid ſeiner Unterführer zu erEr ließ aber die Abgeſandten kurzerhand gefangen ſeßen und dem franzöſiſhen Befehlshaber antworten, er werde den Kampf ſo lange fortführen, als Seine Heiligkeit der Kalif ihm nicht das Gegenteil befehle.

Kowno. Von Major a. D. Ernſt Moraht. (Hierzu die Bilder und Vogelſchaukarten S. 198, 199, 201.)

Ein ſtarkes Hindernis für das Vordringen deutſcher Heere gegen den Njemen iſt die ruſſiſche Feſtung erſter Klaſſe Kowno geweſen. Aber {hon vorher hat ſie ihre Einwirkung auf den Feldzug der Ruſſen gegen die preußiſchen Provinzen deutlich zu erkennen gegeben. Kowno war die feſte Grundlage, auf die ſich die ‘Armee Rennenkampf ſtüßen konnte, als ſie gegen Gumbinnen vordrang, Und