Marxismus und Darwinismus

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reden davon, daß jedem Menſchen ſowohl der Egoismus, die Selbſtliebe, wie der Altruismus, die Nächſtenliebe, angeboren iſt. Da ſie aber den geſellſchaftlichen Urſprung dieſes Altruismus nicht kennen, wiſſen ſie auh nichts über die Grenzen und Bedingungen dieſer Gefühle, und es bleiben ver\{<wommene Jdeen, mit denen ſie praktiſh ni<ts anzufangen wiſſen.

Für die Menſchen gilt nun auch alles, was für die ſozialen Tiere gilt. Unſere affenähnlichen Vorfahren und die ſi<h aus ihnen entwielnden Urmenſchen waren wehrloſe ſhwache Tiere, die, wie faſt alle Affenarten, urſprünglich in Trupps zuſammenlebten. Hier mußten alſo dieſelben ſozialen Triebe und Gefühle entſtehen, die ſi<h nachher bei den Menſchen zu ſittlichen Gefühlen entwidelten. Daß unſere Sittlichkeit und Moral nichts anderes als die ſozialen Gefühle der Tierwelt ſind, iſt allbekannt; auh Darwin ſprach ſhon von den mit ihren ſozialen Inſtitutionen in Verbindung ſtehenden Eigenſchaften der Tiere, „die man bei den Menſchen moraliſche nennen würde“. Dex Unterſchied liegt nur in dem Maße des Bewußtſeins; ſobald die ſozialen Gefühle den Menſchen ſelbſt klar bewußt werden, bekommen ſie den Charakter ſittlicher Gefühle. Hier ſtellt ſi<h alſo heraus, daß dasjenige, was bürgerliche Autoren oft für den hauptſächlichſten Unterſchied zwiſchen Menſch und Tier halten, die moraliſchen Empfindungen, gar nicht den Menſchen beſonders eigen iſt, ſondern direkt aus der Tierwelt ſtammt.

Jn dem Urſprung der ſittlichen Gefühle liegt ſhon enthalten, daß ſie ſich nicht weiter erſtre>en, als die wirklichen geſellſchaftlihen Gruppen, denen das Tier oder der Menſch angehört. Sie dienen zum praktiſchen Zwed>, dieſe Gruppe feſt zuſammenzuhalten; darüber hinaus ſind ſie zwe>los. Für eine Tierart iſ der Umfang und die Natur der geſellſchaftlichen Gruppen dur< ihre Lebensverhältniſſe beſtimmt und daher immer ungefähr gleich. Bei den Menſchen dagegen wechſeln dieſe Gruppen, dieſe geſellſchaftlichen Einheiten, mit der wirtſchaftlihen Entwi>klung und damit wechſelt auh der Geltung8bereich der ſozialen Triebe.

Die urſprünglichen Gruppen, die Stämme der wilden und barbariſchen Völker, bilden viel feſtere Verbände als die tieriſhen Gruppen, weil ſie bei den Menſchen nicht bloß Konkurrenten ſind, ſondern einander direkt bekämpfen und bekriegen. Die bekannte und bewußte Familienverwandtſchaft und die gemeinſame Sprache machen das Band auh viel feſter. Da iſt jeder einzelne völlig auf ſeinen eigenen Stamm angewieſen, ſoll er niht hilflos zugrunde gehen. Hier müſſen die ſozialen Triebe, die ſittlichen Gefühle, die Unterordnung des einzelnen unter die Geſamtheit ſih zur höchſten Kraft entwieln. Jn der weiteren Entwicklung der Geſellſchaft werden die Stämme aufgelöft, oder ſie werden zu größeren ökonomiſchen Verbänden, zu Städten und Völkern vereinigt. Neue Einheiten ſind dann an die Stelle der alten getreten und ihre Mitglieder führen den Kampf ums Daſein, namentli<h au<h den Kampf gegen andere Völker, gemeinſam; immer beſtimmt die ökonomiſche Zuſammen=gehörigkeit den Umfang der Menſchenverbände, innerhalb deren der gegenſeitige Wettkampf ums Daſein aufhört und auf die ſih die ſozialen Gefühle erſtre>en. Am Schluß des Altertums ſehen wir die ganze damals bekannte Menſchheit um das Mittelländiſhe Meer zu einer Einheit, zum römiſchen Weltreich,