Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

158 IV. Poimandres und die ägyptische Offenbarungsliteratur,

vordringen muß.!) Daß an der Ausgestaltung dieser Vorstellung in Ägypten wie in dem übrigen Orient griechisches Denken hervorragenden Anteil hat, ist klar.?) Aber im Grunde führt jede Verschmelzung zweier Volksreligionen und Denkweisen zu derartigem „Allegorisieren“, das Eindringen jüdischer Vorstellungen in Ägypten ebenso wie das ägyptischer Vorstellungen in Judäa. Die symbolische Deutung der verschiedenen Volksüberlieferungen stellt sich von selbst und an den verschiedensten Punkten unabhängig ein, oder entwickelt sich weiter, wo sie wie in Griechenland schon vorhanden war. Daß sie in einzelnen Kreisen selbst des Orients zu einer Verflüchtigung der religiösen Energie führte, wissen wir z. B. aus Philon°); im ganzen leitete sie diese Energie nur auf ein neues Gebiet, den Mystizismus. Denn die yvWcıc Beoü, um welehe Christ und Heide betet, ist weit weniger ein Wissen als ein inneres Schauen oder Fühlen.) Der Begriff der Offenbarung ist

1) Vgl. die formelhaften Wendungen uaBeiv rü dvra — Tü navra YvwWpiZovcıv — mivra mapadapıbv — Ervwpicuevoc TTÄCHE YVLbcewc.

2) Die Grundvorstellung ist in Ägypten sehr alt; die Ausgestaltung beginnt schon mit Leon von Pella; sie zeigt sich am schärfsten bei Chairemon; ihre Stärke lehrt am besten Plutarch und einzelne Stellen wie Origenes Contra Celsum I 12.

3) Näheres bietet das in seinem Hauptteil freilich durchaus verfehlte Buch M. Friedländers, Der vorchristliche jüdische Gnostizismus, Göttingen 1898.

4) Nur an der äußersten hellenistischen Peripherie wirkt der Gegensatz von Gebildet und Ungebildet mit ein, der die stoische Scheidung der civilis und naturalis theologia beherrscht. Daß sie der Philosoph Chairemon annimmt, ist nicht wunderbar; bei Philon ist der Gegensatz der des Geweihten zum Niehtgeweihten; ein anderer Begriff der yvwcac wirkt ein. Daß das Wort yvWcıc im Poimandres und im Papyrus Mimaut fast den Sinn des ekstatischen Schauens annimmt, scheint mir wichtig für die Deutung des vielbehandelten Wortes des Paulus (I. Kor. 12, 8): & ev yüp dtü ToÜ TVeuuatoc ddotaı Adyoc Copiac, AMw dE Aöyoc YvWcewc KaTtü TO AUTO TVeüud, ETEpW mictic &v TO aUrW mVveluarı. Die Deutung Weizsückers, daß die yyWwcıc im Gegensatz zur copia ein intuitives Schauen sei, scheint mir durch den hellenistischen Sprachgebrauch erwiesen; sehr gut paßt zu ihr die Fortsetzung 13, 2: kai tüv &xw mpopnrteidv kai eLdW TA uucTHpia mavra Kal mÄcav TV YvWcıv KÜvV EXW TÄCaV iv micrıv und äydın obdenote Exmimrei, ElTE TPOPNTEIA Katapymdncerat, elite yAWccaı mAaUCovTai, elrEe YVWcıc Katapynonceran. &x UEPOUC Yüp Yıvibckouev Kal &K HEPOUC TIPOprrevonev' ötav de &AOn TO TEXEIOVv, TO EK MEPOUC karapynoncerau. — Für den Sprachgebrauch ist interessant, daß im XII. (XTV.) Kapitel der Hermetischen Schriften neben der yywac deoD die yywac xapäc steht (inneres Erleben, fast gleich Empfinden; der Gegensatz ist einfach Aufn). Beiläufig weise ich darauf