Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.
206 Die ſchwarzen Kabinette.
Lange Zeit befand ſich die „chambre noire“ des fran= zbſiſchen Poſtbureau's unter Louis Napoleon UT. in der Straße Jean Jacques Rouſſeau. Dorthin wurden alle irgendwie verdächtigen Briefe zur Viſitation geſ<hi>t und ‘die gewandteſten Perſonen waren mit der Oeffnung der= ſelben betraut. Mit Oblaten oder Gummi verſchloſſene Couverts wurden leicht dur< Waſſerdampf geöffnet, von Siegella&=Verſchlüſſen nahm man Abdrücke mittelſt einer Miſchung von gekautem Brod und geſtoßenem Kalk, welche dur< Hiße gehärtet und dann zur Wiederverſiegelung der erbrochenen Schreiben verwendet wurden. Cine andere be= liebte Methode beſtand darin, daß man das Couvert auf einer Seite mit einem Raſirmeſſer aufſc<hnitt und na<dem man die Einlage herau8genommen und geleſen hatte, die aufgeſchnittene Stelle mit einer beſonders dazu präparirten Maſſe von aufgelöstem Papier beſtrich, welche ſchnell tro>= nete und nicht die geringſte Spur zurü>ließ. Die Sichtung der gleichgiltigen Briefe von den zu bffnenden erforderte übrigens feine geringe Arbeit, da die Poſt ſchon unter Louis Napoleon jährlich über ſiebenhundert Millionen Stüc Briefe zu beſördern hatte.
Daß ſich aber das Unweſen des ſ{<warzen Kabinets niht auf Frankreich allein beſchränkte, daß ſih vielmehr dieſelbe Cinrichtung in mehr oder minder «großem Umfang auch in anderen europäiſchen Staaten vorfand, erwähnten wix ſchon oben. Wie hätte das auch anders ſein können, da ja franzöſiſche Staats= und Hofeinrichtungen, namentlich zur Zeit Ludwig's XIY., den übrigen Potentaten als Muſter dienten und in wahrhaft ſklaviſcher Weiſe nachgeahmt wurden.