Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

202 SS Spiegel der Seele,

Den blauen Augen ſchreibt man zwar viel Sanftmuth zu und hält ſie für aufrichtiger als andere, allein mit Unrecht. Es mag ſein, daß die blaue Farbe auh hier einen lieblichen Eindru> macht, aber ſonſt iſt es von feinem Belange. Solche Augen und die dunklen, ſ{<war= zen den anderen ausdrü>li<h vorzuziehen, iſt eine ſchreiende Ungerechtigkeit gegenüber den Beſißerinnen gelblicher, grün= licher und grauer Augen, welche doh ebenſo viel Sanftz muth ausſtrahlen können, wie die blauen. Hier hat man es mit nichts Anderem, als mit einer Geſchma>sſache zu thun, und dex Geſchmad> richtet ſi in dieſem Falle nah dex Zeit und den Breitegraden. Noch weniger als auf Charakter und Temperament kann man aus den Augen auf die Nationalität ſchließen. Ueberhaupt kann der Farbe des Auges nur inſofern eine Bedeutung beigemeſſen wer= den, als der Kontraſt zwiſchen dem weißen und farbigen Theile des Auges ein größerer oder geringerer iſt. Meiſten= theils iſt man geneigt, für das etwaige Mißbehagen, welches man beim Anblicke von unbeſtimmt gefärbten grünlichen, gelblichen und graulichen Augen empfindet, den Beſiber die= ſer Augen verantwortlich zu machen und das Schwankende und Unbeſtimmte der Augenfärbung auf den Charatter 1nd den moraliſchen Zuſtand des Beſihers derſelben zu übertragen. Jm Volksmunde heißen ſolche Augen „Kaßen= augen“. Aber die Farbe des Auges hat keineêwegs einen Bezug auf die moraliſche Beſchaffenheit des Individuums. Im Allgemeinen läßt ſih behaupten, daß die Vorliebe für dieſe oder jene ſpezielle Färbung des Auges vein national reſp. individuell iſt.