Bitef
Fernsehens erleben. Mit dem Blick auf die leidenden Geschöpfe schägt Kroetz einen Tragödienstadel auf. Ohne Lärm, nauigkeit im Optischen. Mit rohen Bretteren, über gepreßte Strohbündel gelegt, baut er ein in sich gegliedertes Bühnenpodest, das tief in der Saal vorspringt und an drei Seiten von Zuschauern umgeben ist. Links droht ein Zementsilo mit Futterrüben, in der Mitte steht der aus Backsteinen gemauerte Herd, davor das auf offener Bühne benutzte Plumpsklo, rechts warten Tisch, Hocker, Bett. Auf dieser Raumbühne, in deren Hintergrund sich Strohballen einer Scheuer türmen, führt Heising ohne Sentimentalität führt er das Schicksal zweier Existenzen am Rande der Gesellschaft vor: den alten Mann, der ein Leben lang gearbeitet hat wofür? —, der am Ende nicht nur nichts hat, sondern dem auch sein Schatz, der Hund, geraubt wird, und die junge, unerfahrene, ungebildete Frau, deren Leben ruiniert ist, ehe sie es in die eigenen Hände hätte nehmen können. Dieses fast stumme Stück ist ein einziger Schrei. Kroetz lauscht dem Keuchen der Kreatur. Ulrich Heising, der die zweiundzwanzig wortkargen Szenen zum ersten Mal auf die Bühne bringt, hat das Ohr dafür. Er unterlegt das Stück, das beim Lesen nur aus Pausen die vier Schauspieler sehr genau: Axel Bauer (Staller), Enzi Fuchs (Bäuerin), Bruno Dallansky (Knecht), und die junge, naive, zugleich geradezu routiniert professionelle Eva Mattes als schielende, linkische Beppi, deren Leistung zu Recht bei der Premiere mit Ovationen bedankt wurde. Krotz spricht zwar von Aufklärung, von Sozialkritik, doch treibt ihn ein anderes zum Schreiben: Empörung über den Zustand der Welt, zorniges Mitleid mit den Menschen. Kroetz hat den Blick zu bestehen scheint, in die gelegentlich ein Wort, wenn's hoch kommt ein Sprichwort tropft, mit dem kreatürllchsten Geräusch einem wimmernden
Keuchen, von dem man die recht weiß, wer es hervorstößt, ein eben geborener Säugling, rammelnde Katzen, zwei Menschen, die einander umarmen, eine Frau tin den Wehen oder ein Mensch im Todeskampf. Mit kleinsten, scheinbar naturalistischen Ton-Einblendungen, die bei Kroetz nicht vorgesehen sind, schafft der Regisseur das Klima eines nicht symbolischen, sondern magischen Realismus. Während Sepp steif vor Angst über die Bühne irrt, auf der Suche nach seinem Hund, läßt der Stallerbauer für die Erbärmlichkeit der Kreatur. Nur so werden die demütigenden Sexual- und Fäkal-Akte auf der Bühne verständlich, ohne die ein politischer Aufklärer, nicht aber ein moralistischer Ankläger auskommen kann. Gleichwohl hat Kroetz mit »Stallerhof« weniger eine Anklage als eine Klage geschrieben, Klage über den trostlosen, veränderungswürdigen Zustand der Welt. Mit dieser Leidensbereitschaft, die ihn von wortgewandten Aposteln der Gesellschaftskritik auf, dem Theadas unmenschlich motorische Geknatter des Mopeds hören, das er repariert. Und die nächtliche Szene, in der die Bäuerin gesteht, daß sie der Tochter das Kind nicht abgetrieben hat, und der Bauer, in hilfloser Verzweiflung, nicht von einem Enkel, sondern von einem eigenen, zweiten Kind träumt, läßt der Regisseur durch das an Zeit, Vergänglichkeit, Tod mahnende Ticken eines Weckers zerhacken. So muß die Sprachlosigkeit von Kroetzens stammelnden Gestalten mit Lebenslärm angereichert werden, damit sie den Zuschauer nicht als Kunstfiguren verzaubern, sondern als menschliche, als gesellschaftliche Wirklichkeit verstören. Karl Kneidl sorgt für gleiche Geter unterscheidet, erreicht Kroetz auch in »Stallerhof« eine poetischdramaturgische Tiefenschicht, die ihn zum bedeutendsten der jüngeren realistischen Bühnenschriftsteller Deutschlands macht. Hier hat einer, der als Mitglied der DKP an der Verbesserung unserer Zustände mitzuarbeiten bereit ist, die eigenen, vond aktiver
Politik und Propaganda unterschiedenen Gesetze der Bühne erkannt und anerkannt. Zu seinem, zu unserem Nutzen und Gewinn. (Rolf Michaelis)
franz xaver kroetz
Geboren 1946 in München, Schauspielschule, kleinere Engagements an Münchner Kellertheatern, Kraftfahrer, Bauerntheater, lebt in München. 1971 »Heimarbeit« und »Hartnäckig« (U Münchner Kammerspiele), »Michis Blut« (U München, gedruckt in »Theater heute« 7/ /1971), »Männersache« (U Darmstadt), »Wildwechsel« (U Dortmund) 1972 »Stallerhof« (U Deutsches Schauspielhaus, gedruckt in »Theater 1971«), »Geisterbahn«, »Lieber Fritz«, »Wunschkonzert«, »Dolomitenstadt Lienz«, »Maria Magdalena«, »Globales Interesse«. Buchausgaben: »Heimarbeit, Hartnäckig. Männersache«, eds 473, Suhrkamp, Frankfurt 1971, »Vier Stücke«, eds 586, Suhrkamp, Frankfurt 1972.
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