Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1
Vielfraß: Raubluſt. Erlegung. Fortpflanzung. Gefangenleben. 639
Boden und zerfleiſht ihn mit dem Gebiſſe derart, daß jener an den ihm beigebrahten Wunden oft zu Grunde geht.
Die Rollzeit des Vielfraßes fällt in den Herbſt oder Winter, in Norwegen, wie Erik mir erzählte, in den Fanuax. Nah 4 Monaten Tragzeit, gewöhnlih alſo im Mai, wirft das Weibchen, in einer einſamen Schlucht des Gebirges oder in den dichteſten Wäldern, 2—8, ſelten auh 4 Junge auf ein weiches und warmes Lager, welches es entweder in hohlen Bäumen oder in tiefen Höhlen angelegt hat. Es hält ſ{hwer, ein ſolhes Wochenbett aufzufinden; bekommt man aber Junge, welche noc klein ſind, ſo kann man ſie ohne große Mühe zähmen. Genberg zog einen Vielfraß mit Milch und Fleiſch auf und gewöhnte ihn ſo an ſi, daß er ihm wie ein Hund auf das Feld nahlief. Er war beſtändig in Thätigkeit, ſpielte artig mit allerlei Dingen, wälzte ſih im Sande, ſcharrte ſih im Boden ein und" kletterte auf Bäume. Schon als er 3 Monate alt war, wußte er ſih mit Erfolg gegen die ihn angreifenden Hunde zu verteidigen. Er fraß nie unmäßig, war gutmütig erlaubte Schweinen, die Mahlzeit mit ihm zu teilen, litt aber niemals Hunde um ſih. Jmmer hielt er ſi< reinli<h und roh gar niht, außer, wenn mehrere Hunde auf ihn losgingen , welche er wahrſcheinlih durch die Entleerung ſeiner Stinkdrüſen zurü>ſhre>en wollte. Gewöhnlich. ſhlief er bei Tage und lief bei Nacht umher. Er lag lieber im Freien als in ſeinem Stalle und liebte überhaupt den Schatten und die Kälte. Als er ein halbes Fahr alt war, wurde er biſſiger, blieb jedo< immer no< gegen Menſchen zutraulich, und als er einmal in den Wald entflohen war, ſprang er einer alten Magd auf den Schlitten und ließ ſih von ihr nach Hauſe fahren. Mit zunehmendem Alter wurde er wilder, und einmal biß er ſi derart mit einem großen Hunde herum, daß man leßterem zu Hilfe eilen mußte, weil man für ſein Leben fürchtete. Auch im Alter ſpielte er immer noch mit den bekannten Leuten; hielten ihm jedo< Unbekannte einen Sto> vor, ſo knirſchte er mit den Zähnen und ergriff ihn wütend mit den Klauen.
Solange ein gefangener Vielfraß jung iſt, zeigt er ſih höchſt luſtig, faſt wie ein junger Bär. Wenn man ihn an einen Pfahl gebunden hat, läuft ex in einem Halbkreiſe herum, ſhüttelt dabei den Kopf und ſtößt grunzende Töne aus. Vor dem Eintritte ſ{hle<ter Witterung wird er launiſh und mürriſh. Obgleich niht eben {nell in ſeinen Bewegungen, iſt er doh fortwährend in Thätigkeit, und bloß wenn er ſhläft, liegt er ſtill auf einer und derſelben Stelle. Einen Baum, welchen man in ſeinem Käfig angebracht hat, beſteigt er mit Leichtigkeit und ſcheint ſih dur< die merkwürdigſten Turnkünſte, welche ex auf den Äſten ausführt, beſonders zu vergnügen. Zuweilen ſpielt er förmlih mit den Zweigen, indem er mit Leichtigkeit und ohne jede Furcht aus ziemlichen Höhen herunter auf die Erde ſpringt und an den eiſernen Stäben ſeines Käfigs oder an ſeinem Lieblingsbaume raſch wieder emporklettert; zuweilen rennt er in einem kurzen Galopp im Kreiſe innerhalb ſeines Käfigs umher, hält jedo< ab und zu inne, um zu ſehen, ob ihm nicht einer von den Zuſhauern ein Stü>chen Kuchen oder ſonſt einen Le>erbiſſen dur< das Gitter geworfen habe.
Das eigentliche Weſen des Vielfraßes zeigt ſih aber doh erſt, wenn er Geſellſchaft ſeinesgleihen hat. Fm Berliner Tiergarten lebten drei Stü des in unſeren Käfigen ſv ſeltenen Tieres und zwar ein altes und zwei noh niht erwachſene, welche in früher Jugend ankamen. Etwas Luſtigeres und Vergnügteres, als dieſe beiden Geſchöpfe ſind, kann man ſich nicht denken. Nur äußerſt ſelten ſah man ſie kurze Zeit der Ruhe pflegen; den größten Teil des Tages verbrachten ſie mit Spielen, welche urſprünglich durchaus nicht böſe gemeint zu ſein ſchienen, bald aber ernſter wurden und gelegentlich in einen Zweikampf übergingen, bei welchem beide Re>en Gebiß und Tagen wechſelweiſe gebrauchten. Unter kaum 1wiederzugebendem Gekläff, Geknurr und Geheul rollten ſie übereinander weg, ſo daß der eine bald auf dem Nüen, bald auf dem Bauche des anderen lag, von dieſem abgeſchüttelt und nun