Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2
Wolf: Verbreitung. Geſchichtliches, 21
Gebirgen und ſelbſt in den größeren Ebenen eine ſtändige Erſcheinung, in Griechenland, Ftalien und Frankreich häufig genug, in der Shweiz ſeltener, im mittleren und nördlichen Deutſchland wie in Großbritannien gänzlich ausgerottet worden, im Oſten Europas gemein. Ungarn und Galizien, Kroatien, Krain, Serbien, Bosnien, die Donaufürſtentümer, Polen, Rußland, Schweden, Norwegen und Lappland ſind diejenigen Länder, in denen er jeßt noh in namhafter Menge auftritt. Auf Jsland und den Fnfeln des Mittelmeeres ſcheint er niemals vorgekommen, in den Atlasländern dagegen ebenfalls vorhanden zu ſein. Außerdem verbreitet er ſi< über ganz Nordoſt- und Mittelaſien, nah Blanford ſogar dur< Afghaniſtan und Belutſchiſtan bis ins Jndusgebiet, bis nach Sind, vielleicht bis ins obere Pandſchab, und hat in Nordamerika einen ihm ſo naheſtehenden Verwandten, daß man au den Weſten der Erde in ſeinen Verbreitungskreis gezogen und niht bloß den nordamerikaniſchen, ſondern au< den mexikaniſchen als Unterarten aufgefaßt hat.
Die Alten kannten den Wolf genau. Viele griechiſche und römiſche Schriftſteller ſprechen von ihm, einige niht allein mit dem vollen Abſcheu, welchen Jſegrim von jeher erregt hat, ſondern auh bereits mit geheimer Furcht vor ungeheuerlichen oder geſpenſtiſhen Eigenſchaften des Tieres. Oppian unterſcheidet fünf Abarten, welche Gesners Überſeßer bezeihnet als Shüßwolf, ſo benannt „von wegen ſeiner {nellen Behändigkeit“, als Raubwolf, zu dem er bemerkt: „der aller \chnelleſte, geht mit groſſer Ungeſtümm deß Morgens früh auf die Jagt, weil er ſtäts Hunger leydet“, als „der gülden Wolf, ſo benannt von wegen der Farb, und ſeiner ſhönen und glänßenden Haaren halber“, und endlih „die von dem vierten und fünfften Geſhlechte“, ſagt Gesner, „können nah gemeinem Nahmen Booswölff genennt werden, dieweil ihre Köpffe und Hälſe kurt und di> ſind und einige Gleichheit mit dem Amboos haben“. Jn der altgermaniſchen Götterſage wird der Wolf, das Tier Wodans, eher geachtet als verabſcheut; leßteres geſchieht erſt viel ſpäter, nachdem die chriſtliche Lehre den Götterglauben unſerer Vorfahren verdrängt hatte. Nun verwandelte ſich Wodan in den „wilden Jäger“ und ſeine Wölfe in deſſen Hunde, bis zulebßt aus dieſen der geſpenſtiſhe Werwolf wird: ein Ungeheuer, zeitweilig Wolf, zeitweilig Menſch, Blindgläubigen ein Entſezen. Noch heutzutage ſpukt die Werwolffabel in verdüſterten Köpfen und flüſtert das Volk ſi zu, dur< welche Mittel das geſpenſtiſche Ungeheuer zu bannen und unſchädlih zu machen ſei.
Dex Wolf wird zwar allmählich mehr und mehr zurückgedrängt; doch iſt der lebte Tag ſeines Auftretens im geſitteten Europa anſcheinend no< fern. Fm vorigen Fahrhunderte fehlte das ſchädliche Raubtier keinem größeren Waldgebiete unſeres Vaterlandes, und auh in dieſem Jahrhunderte ſind hier nah amtlichen Angaben immerhin no< Tauſende erlegt worden. Fnnerhalb der Grenzen Preußens wurden 1817 noh 1080 Stück geſchoſſen. Fn Pommern allein wurden erlegt im Jahre 1800: 118, 1801: 109, 1802: 102, 1803: 186, 1804: 112, 1805: 85, 1806: 76, 1807: 12, 1808: 37, 1809: 43 Stück. Dann wurden ſie ſeltener, kamen aber wieder in großer Menge mit dem aus Nußland fliehenden franzöſiſchen Heere, das ihnen Leichen genug zum Fraße lieferte, ins Land. Jm Poſenſchen wurden von ihnen 1814—15 wieder 28 Kinder und 1820 no 19 Kinder und Erwachſene zerriſſen. Gegenwärtig ſind Wölfe in unſerem Vaterlande ſehr ſelten geworden, doch verlaufen ſi alljährlih noh welche aus Rußland, Frankreich und Belgien nah Oſt: und Weſtpreußen, Poſen, den Rheinlanden, in ſtrengen Wintern auh na<h Oberſchleſien, unter Umſtänden bis tief in das Land. So trieben, laut Pagenſtecher, im Jahre 1866 Wölfe im Odenwalde ihr Unweſen, bis es nach vielen vergeblichen Jagden endlih gelang, ihrer habhaft zu werden. Jn den elf Jahren 1872—82 wurden in den Reichslanden 459 Wölfe getötet, und noh 1885—86 wurden in Lothringen 32, im Elſaß 7, in den Rheinlanden 2, in Oſtpreußen und Brandenburg je 1 Stück zur Stre>e gebracht; und Ende 1886 trieb