Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1
Ein Blick auf das Leben der Geſamtheit.
„D en Vogel erkennt man an den Federn.“ Mit dieſem Sprichworte unterſcheidet das Volk ſehr richtig die gefiederten Rü>grattiere von allen übrigen Wirbeltieren. Wenn man dem Sprichworte hinzufügt, daß die Kinnladen mit Hornſchneiden bekleidet, die Vorderglieder in Flügel umgebildet, alſo nur noh zwei Beine vorhanden und in dieſen Fußwurzel und Mittelfuß zu einem Stü>e verſhmolzen ſind, ſowie ferner ſih vergegenwärtigt, daß das Hinterhaupt mit einfahem Gelenkfnopfe verſehen, der aus mehreren Stücken beſtehende Unterkiefer an dem beweglih mit dem Schädel verbundenen Quadratbeine gelenkt iſt, das Herz doppelte Kammern und Vorkammern beſißt, die Lungen mit Luftſä>ken und den meiſt luftführenden Knochen in Verbindung ſtehen, das Zwerthfell unvollkommen und das Becfen nur bei den Straußen nicht offen iſ, wird man auh dem Naturforſcher gerecht.
So abweichend gebaut der Vogel zu ſein ſcheint, ſo große Ähnlichkeit zeigt ſein Gerippe mit dem der Kriechtiere, weshalb auch leßtere als Vorläufer der gefiederten Nückgrattiere aufzufaſſen ſind. Bezeichnend für die Vögel iſt ihr Vermögen zu fliegen: mit ihm hängen die ſcharf ausgeprägten Eigentümlichkeiten der Geſtalt und des inneren Baues aufs engſte zuſammen; aus ihm erklärt ſi größtenteils die Umgeſtaltung, welche die Vögel im Gegenſaße zu Säuge- und Kriechtieren erlangen mußten, um das zu werden, was ſie ſind.
Der Schädel iſ ſtark gewölbt und wird aus verſchiedenen Knochen zuſammengeſebt, deren verbindende Nähte, in der Jugend deutlich ſichtbar, im Alter ſo miteinander verwahſen, daß von der vormaligen Trennung keine Spur mehr übrigbleibt. Die kleinen, aber ſehr verlängerten Knochen, welche das Geſicht bilden, beſtehen aus zwei Oberkieferbeinen, dem Pflugſchar- und Quadratbeine und den Verbindungsknochen ſowie den Unterkiefern. Bemerkenswert iſt die Größe der Augenhöhlen und die Dünne der zwiſchenliegenden, zuweilen auh wohl dur<bro<henen Wand, ebenſo der einfache Gelenkknopf am Hinterhauptsloche, welcher größere Beweglichkeit des Schädels ermöglicht, als ſie beim Kopfe des Säugetieres ſtattfinden kann. Die Halswirbel ſ{<hwanken an Zahl zwiſchen 9 und 24 und zeichnen ſich aus durch ihre Beweglichkeit, während die 6—10 Rumpfwirbel und die 9—20 Lenden- oder Kreuzwirbel im Gegenteile ſehr unbeweglih ſind und oft miteinander verſchmelzen. Fm Gegenſaße zu dem entſprehenden Teile der Säugetiere ſind die Shwanzwirbel, deren Anzahl meiſt 8—10 beträgt, dur Verſchmelzung jedo<h vermindert werden kann, eigenartiger ausgebildet als bei den Säugetieren, was ſi< namentlih an dem leßten, dem Träger der großen Steuerfedern, bemerklih macht ; denn dieſer Wirbel ſtellt ſich als eine hohe, drei- oder vierſeitige Knochenplatte dar. Die dünnen und breiten Rippen, deren Anzahl mit jener der Rückenwirbel im Einklange ſteht, ſind an leßteren und durch beſondere Knochenkörper am Bruſtbeine eingelenkt, tragen auh, mit Ausnahme der erſten und lebten, am hinteren Nande hakenförmige Fortſäße, welche ſi auf dem oberen Rande der folgenden Unterrippen
Brehm, Tierleben. 3. Auflage. IV. 1