Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

8 Ein Bli> auf das Leben der Geſamtheit.

wohl unter Wucherungen der inneren Magenhaut und werfen dieſe von Zeit zu Zeit anſtatt der Gewölle aus. Troß des regen Stoffwechſels ſammelt ſi bei reihliher Nahrung unter der Haut und zwiſchen den Eingeweiden ſehr viel Fett an; mehrere Hungertage nacheinander verbrennen es aber auch vollſtändig wieder. Dennoth ertragen die Vögel Hunger länger als die meiſten Säugetiere.

Auch die willkürlichen Bewegungen der Vögel geſchehen raſcher und ſind ausdauernder, ihre Muskeln in der That dichter und feſter, reizbarer und ihre Zuſammenziehungen kräftiger als bei den übrigen Tieren. Über den Flug, die ausgezeihnetſte Bewegung, habe ih (Vd. 1, S. 10) ſchon einige Worte geſagt und möchte an ſie erinnern, weil das Nachfolgende damit in Verbindung ſteht. Alle übrigen Tiere, welche fähig ſind, ſi< in der Luft zu bewegen, flattern oder ſhwirren: die Vögel fliegen. Dies danken ſie der Bildung ihrer Fittithe, deren Federn dachziegelartig übereinander liegen und gebogen ſind, wodurch der Flügel eine muldenartige Ausbuhtung nach oben erhält. Werden die Schwingen emporgehoben, ſo loŒert ſich die Verbindung der einzelnen Schwungſedern, und die Luft kann zwiſchen den Federn durchſtreichen; beim Niederdrücken hingegen [<hließen ſi< die Fahnen innig aneinander und ſegen der Luft einen bedeutenden Widerſtand entgegen: der Vogel muß ſi< alſo bei jedem Flügelſchlage erheben, und da nun der Flügelſhlag von vorn nah hinten und von oben nah unten geſchieht, findet gleichzeitig Vorwärtsbewegung ſtatt. Der Schwanz dient als Steuer, wird beim Emporſteigen etwas gehoben, beim Herabſteigen niedergebogen, bei Wendungen gedreht. Selbſtverſtändlich iſt, daß die Flügelſchläge der vollendeten Flieger bald raſcher, bald langſamer erfolgen, bald gänzlih unterbrochen werden, daß die Flügel mehr oder weniger gewendet werden und der vordere Rand demnach bald höher, bald niederer zu ſtehen kommt, je nachdem der Vogel ſchneller oder gemächlicher auf- und vorwärts fliegen, ſhweben oder kreiſen will und ebenſo, daß die Fittiche eingezogen werden, wenn er ſih aus bedeutenden Höhen jäh zum Boden hinabzuſtürzen beabſichtigt. Die Wölbung der Flügel bedingt auch, daß er zum Fluge Gegenwind bedarf; denn der von vorn kommende Luftzug füllt ihm die Shwingen und hebt ihn, während Rü>kwind ihm die Federn loert und die Flügel herabdrü>t, die Bewegung überhaupt beeinträchtigt. Die verhältnismäßige Stnelligkeit und die Art und Weiſe des Fluges ſelbſt ſteht mit der Geſtaltung der Flügel und der Beſchaffenheit des Gefieders im innigſten Einklange. Lange, ſ{<hmale, [arf zugeſpißte, hartfederige Flügel und kurzes Gefieder befähigen zu raſchem, kurze, breite, ſtumpfe Flügel und lo>eres Gefieder umgekehrt nur zu langſamem Fluge; ein verhältnismäßig langer und breiter Shwanz matt jähe Wendungen möglich, große, abgerundete und breite Flügel erleihtern längeres Shweben 2c. Hinſichtlich der verhältnismäßigen Schnelligkeit des Fluges habe ih bereits geſagt, daß ſie die jedes anderen Tieres übertrifft; bezüglih der Ausdauer mag bemerkt ſein, daß der Vogel hierin hinter keinem Tiere zurü>ſteht, daß er für uns Unbegreifliches leiſtet und im Verlaufe weniger Tage viele Tauſende von Kilometern zurüdlegen, binnen wenigen Stunden ein breites Meer überfliegen kann. Zugvögel fliegen tagelang ohne weſentlihe Unterbrechung, Schwebevögel ſpielen ſtundenlang in der Luft, und nur ſehr ungünſtige Verhältniſſe entkräften einzelne ſhließlih wirklih. Bewunderungswürdig iſt, daß der Vogel in den verſchiedenſten Höhen, in denen doh die Dichtigkeit der Luft auch verſchiedenen Kraftaufwand bedingen muß, anſcheinend mit derſelben Leichtigkeit fliegt. Als ſi< A. von Humboldt in der Nähe des Gipfels vom Chimboraſſo befand, ſah er in unermeßbarer Höhe über ſi< no< einen Kondor [hweben, ſo hoch, daß er nur als Éleines Pünkthen erſchien; der Vogel flog anſcheinend mit derſelben Leichtigkeit wie in der Tiefe. Daß dies niht immer der Fall iſt, hat man dur Verſuche feſtſtellen können: Tauben, welche Luftfahrer frei ließen, flogen in bedeutenden Höhen weit unſicherer als in tieferen Schichten.